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Auf der Spur des Hexers

Auf der Spur des Hexers

Titel: Auf der Spur des Hexers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unsichtbaren Händen geschoben, löste sie sich von ihrem Halt, stand einen Moment lang in schlichtweg unmöglicher Schräglage und gegen alle Naturgesetze frei in der Luft und kippte nach hinten.
    Quenton lächelte kalt, trat an den Rand des Bodens und blickte nach unten. Die Leiter war mitten in die Menge gestürzt und hatte ein halbes Dutzend Männer zu Boden geworfen.
    Eine Hand wies nach oben. »Da ist noch einer!«, brüllte eine Stimme. »Da oben ist noch eines von den Schweinen!« Andere Stimmen nahmen den Ruf auf, und von einer Sekunde auf die andere war die Scheune von einem gröhlenden Chor erfüllt. Ein Chor, der nach seinem Blut schrie.
    Quenton starrte kalt auf die tobende Menge herab. Jemand hob ein Gewehr und schoss auf ihn. Die Kugel streifte seinen linken Arm und riss eine blutige Furche in seine Haut. Er spürte es nicht einmal.
    Wieder krachte ein Schuss, dann noch einer, und noch einer. Quenton spürte, wie die Kugeln seinen Körper trafen und irgendetwas tief in ihm zerstörten, endgültig und unwiderruflich, aber er fühlte noch immer keinen Schmerz. Nur Hass. Hass auf Andara, auf Lyssa und Necron, der mit dem Versprechen auf Hilfe hierhergekommen war und den Tod gebracht hatte, und Hass auf Roderick, in dessen Macht allein es gestanden hätte, sie alle zu retten. Der sie im Stich gelassen hatte.
    Er spürte, wie seine Kräfte allmählich schwanden. Wieder krachte eine Gewehrsalve, und wieder wurde Quenton getroffen. Aber er starb nicht, obwohl er bereits aus mehreren Wunden blutete.
    Er wankte, torkelte einen Schritt vom Bodenrand zurück und fiel auf die Knie. Langsam, ganz langsam erwachte der Schmerz nun doch, und mit ihm kam etwas Großes und Dunkles, das ein sonderbares Gefühl von Freundlichkeit begleitete.
    Irgend etwas flog zu ihm herauf und landete polternd wenige Schritte neben ihm im Heu. Quenton hob mühsam den Blick, sah einen verschwommenen Fleck hellweißen Lichtes und spürte Wärme wie eine brennende Hand auf dem Gesicht. Es war eine Fackel. Eine zweite folgte, dann eine dritte. Sein Blick begann sich zu verschleiern. Er spürte kaum mehr, wie die Flammen, die in dem trockenen Heu sofort Nahrung fanden, zu einer meterhohen Feuerwand emporschossen und auf ihn zurasten. Alles wurde hell und leicht und unwichtig, verschwamm vor seinen Augen.
    »Roderick«, flüsterte er. »Das alles ist deine Schuld. Ich verfluche dich. Ich verfluche dich bis in den Tod. Und … darüber hinaus.«
    Quenton krümmte sich, fiel auf das Gesicht und starb.
    Irgend etwas hatte ihn geweckt. Im ersten Moment wusste er nicht einmal, dass er überhaupt eingeschlafen war; aber Anspannung und Erschöpfung hatten letztlich doch ihren Preis gefordert. Selbst er war nur ein Mensch, ein Mensch dazu, der in den letzten Tagen immer wieder dicht an die Grenzen seiner körperlichen und geistigen Kraft gestoßen war.
    Aber etwas hatte ihn geweckt. Er erinnerte sich schwach, von jenem entsetzlichen Tag vor über zehn Jahren geträumt zu haben, wie so oft, aber etwas hatte die dünne Nabelschnur aus Erinnerungen zerrissen, die sich zwischen dem Jetzt und jenem Tag, der sein Leben auf so fürchterliche Weise veränderte, gespannt hatte. Er blinzelte, merkte, dass er im Schlaf zur Seite und fast von der schmalen Sitzbank gerutscht war und richtete sich mit einer überhasteten Drehung wieder auf. Obwohl er allein in der Kutsche war, begleitete ein ganz automatisches, verlegenes Lächeln die Bewegung. Dann erst ließen ihn der Schlaf und die Spinnenfinger des Albtraumes vollkommen los, und er wurde sich seiner Umgebung wieder vollkommen bewusst.
    Der Wagen hatte angehalten. Was ihn geweckt hatte, war der letzte, harte Ruck gewesen, mit dem der schwerfällige Vierspänner zum Stehen gekommen war. Es war noch immer heiß, und die Vorhänge vor den staubigen Fenstern waren noch immer zugezogen, aber das Licht, das sich durch sie hindurchmogelte, war jetzt grün, nicht mehr von der brutalen Helligkeit geschmolzenen Eisens.
    Andara fragte sich, wie lange er geschlafen haben mochte – sicherlich nicht lange genug, die Postkutschenstation und den Bahnhof zu erreichen, denn die einzigen Laute, die er hörte, waren das unwillige Wiehern der Pferde und die Flüche des Kutschers, der vom Bock gesprungen war und offensichtlich an einem Rad herumzerrte, denn das Gefährt schaukelte noch immer hin und her, obwohl sie sich nicht mehr von der Stelle bewegten. Außerdem gab es dort keine Bäume, sondern nur sonnenverbrannte

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