Auf der Spur des Hexers
du es? Kannst du ihr Leben retten?«
»Nein«, antwortete Necron ruhig. »Du hättest es gekonnt, als noch Zeit war. Ich kann es nicht. Niemand kann es jetzt noch, denn die meisten sind bereits tot. Doch ich kann ihnen helfen, ihre Rache zu vollziehen. Jeder Tropfen Blut, der heute vergossen wird, soll millionenfach gerächt werden.«
»Du bist ja wahnsinnig«, sagte Roderick leise. Plötzlich fuhr er herum, war mit einem Schritt beim Tisch und beugte sich erregt vor. »Mutter, Lyssa!«, sagte er. »Hört auf mich! Hört mit diesem Wahnsinn auf und kommt mit mir. Ich kann euch hier herausbringen, euch und Jenny.«
»Nein, Roderick«, sagte Andara, beinahe sanft. »Das kannst du nicht. Und es ist zu spät.«
»Für dich übrigens auch, du Narr«, fügte Necron leise hinzu. Andara beachtete ihn gar nicht.
»Ich flehe dich an, Mutter – tu es nicht!«, s agte Roderick beschwörend. »Sie wissen nicht, was sie tun! Du kannst nicht millionenfaches Leid über die Welt bringen, nur um bloßer Rache willen!«
»Was weißt du schon, du Narr!«, sagte Necron zornig. »Millionenfaches Leid? Ha! Für Narren wie dich vielleicht. Die, die den wahren Herren dienen, werden millionenfach belohnt werden.«
»Hörst du, was er redet?«, sagte Roderick. »Dieser Mann ist wahnsinnig, Mutter. Er mag ein Träger der Macht sein wie du und ich, aber er ist wahnsinnig. Ihr dürft es nicht tun. Ich … ich werde verhindern, dass ihr die Beschwörung durchführt.«
»Und wie?«, fragte Necron amüsiert. »Willst du deine Kräfte mit den meinen messen, du kleiner Narr?«
Ganz langsam richtete sich Roderick auf, drehte sich herum und trat auf Necron zu. Er überragte den anderen um mehr als Haupteslänge, aber das schien Necron eher zu amüsieren.
»Und wenn ich es täte?«
»Würdest du sterben«, sagte Necron ruhig. »Aber zuvor würde ich deine Braut töten, vor deinen Augen.«
Roderick erstarrte. Sein Blick heftete sich auf die Tür, die Necron ihm verwehrte. Schweiß erschien in einem Netz feiner, glitzernder Perlen auf seiner Stirn.
Dann schlug er zu; hart, gezielt, und mit der vollen Absicht zu töten.
Necron hatte keine Chance. Er hatte mit einem geistigen Angriff gerechnet, einem Duell der Magier, die sie beide waren – gegen pure Brachialgewalt war er wehrlos. Rodericks Faust traf seinen Kehlkopf, ließ ihn zurücktaumeln und röchelnd gegen die Wand fallen, dann landete seine Handkante mit schrecklicher Wucht auf seinem Hals und raubte ihm endgültig das Bewusstsein.
Lyssa schrie auf und fuhr halb hoch, aber wieder hielt Andara sie zurück. Ihr Blick war hart wie Glas, als sie erst Roderick, dann den am Boden liegenden Necron musterte.
»Du hast dich also entschieden«, sagte sie.
Roderick nickte. »Ich sollte ihn töten«, sagte er.
»Das solltest du«, bestätigte Andara, sehr ernst. »Denn er wird dich mit seinem Hass verfolgen, sobald er wieder erwacht ist. Töte ihn – oder bereite dich auf ein Leben vor, das nur aus Flucht und Angst besteht.«
Rodericks Hände zuckten. Er beugte sich über den Bewusstlosen, hob die Faust, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Seine Lippen begannen zu zittern. Plötzlich fuhr er herum und trat wieder auf seine Mutter zu. »Warum hast du ihn gerufen?«, fragte er. »Warum hast du ihn geholt, Mutter? Reicht dir das Unheil noch nicht, das ihr mit eurem Tun heraufbeschworen habt?«
»Wir?« Andara lächelte. »Wir haben nichts getan, Roderick. Wir wollten nur leben, wie es uns gefiel.«
»Ihr praktiziert Zauberei in einer Welt voller Aberglauben und Angst!«, sagte Roderick aufgebracht. »Was dort draußen geschieht, musste geschehen!« Erneut beugte er sich vor. »Zum letzten Mal, Mutter – komm mit mir. Und du, Lyssa! Kommt mit. Ich kann euch retten. Noch ist es nicht zu spät.«
»O doch, Roderick«, antwortete Andara. »Das ist es.« Sie schüttelte den Kopf, lächelte. »Geh«, sagte sie. »Nimm Jennifer und geh, so lange du es noch kannst.«
»Und … ihr?«, murmelte Roderick.
»Wir bleiben«, antwortete Andara. »Wir müssen es, Roderick. Aber wir werden uns wiedersehen. Irgendwann.«
Roderick starrte sie noch einen Herzschlag lang an, dann fuhr er herum, stürmte durch den Raum und verschwand im angrenzenden Zimmer.
Wenige Augenblicke später verließen er und Jenny Jerusalem’s Lot für immer. Das brennende Dorf blieb hinter ihnen zurück, aber sie sahen den Feuerschein noch lange am Himmel, auch als die Sonne unterging und sie bereits Meilen entfernt
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