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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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farbige Stoffballen, die jedoch Frauen waren, dicht nebeneinander hineingepfercht. Uralte Autos, Motorräder und Mopeds, die unter erdrückenden Bündeln von Hab und Gut kaum noch sichtbar waren. Es war ein Wettrennen der Armut: die motorisierten Reicheren führten an der Spitze. Nach den Fahrzeugen kamen die Tiere: Eselskarren und Ochsenwagen, Rikschas mit Pedalen. Die meisten gehörten der letzten Welle an, dem Fußtrupp. Sie schoben Schubkarren, beladen mit Töpfen und Bettrollen und verschnürten Schachteln oder zogen Handkarren an Seilen oder schoben alte Frauen mit ängstlichen Gesichtern in Rollstühlen vor sich her. Sie schleppten ihre Last die steile Talstraße hinab. Einige brachen aus dem Pulk aus und sprangen über die Ränder der Terrassen hinunter, wobei sie Kleidung und Werkzeuge und Kochutensilien über die Felder verstreuten. Als Allerletztes kamen Hände und Köpfe. Diese Leute trugen ihre Habseligkeiten auf Köpfen und Rücken und Kinderschultern.
    Mein Vater öffnete die Kirche für die Flüchtlinge. Dort würden sie eine Lagerstatt haben, warmen Chai, etwas Ugali, ein paar Bohnen. Ich half beim Umrühren der großen Ugali-Töpfe über offenem Feuer. Der Dorfarzt richtete eine Krankenstation ein. Bei den meisten behandlungsbedürftigen Fällen handelte es sich um verletzte Füße und Hände und Verdurstungserscheinungen bei Kindern. Nicht jeder in Gichichi war mit der Wohltätigkeit meines Vaters einverstanden. Einige befürchteten, dadurch würden die Flüchtlinge zum Bleiben ermutigt und dann würden sie uns etwas wegessen. Die Ladenbetreiber warfen ihm vor, er würde ihr Geschäft schädigen, indem er verschenkte, was sie eigentlich verkaufen wollten. Mein Vater erklärte ihnen, dass er lediglich versuchte so zu handeln, wie es seiner Meinung nach Jesus getan hätte. Darauf hatten sie nichts zu erwidern, aber ich wusste, dass er einen anderen Beweggrund hatte. Er wollte die Geschichten der Flüchtlinge hören. Sie würden schon bald seine Geschichte sein.
     
    Was war mit Tusha?
    Der Packen hatte uns um ein paar Kilometer verfehlt. Er war an einem Ort mit dem Namen Kombé eingeschlagen, hatte zwei Kikuyu-Farmen und einige scheißeverkrustete Kühe getroffen. Es hatte einen großen Knall gegeben. Einige von uns Tusha-Bewohnern nahmen ein Matatu, um zu sehen, was mit Kombé geschehen war. Man sagt uns, es ist nichts übrig geblieben. Da sind sie, geh hin und frag sie.
    Dieses Nichts, meine Brüder, wie war das? Wie ein Loch?
    Nein, es war etwas, aber nichts, das wir erkannt hätten. Die Fotos? Die zeigen nur das Ding an sich. Sie zeigen nicht, wie es abläuft. Die Häuser, die Felder und die Straße und die Schienen, sie zerfließen wie Fett in der Pfanne. Wir haben gesehen, wie die Erde geschmolzen ist und neue Dinge sich daraus hervorgestreckt haben wie die Hände eines Ertrinkenden.
    Was für Dinge?
    Uns fehlen die Worte, um sie zu beschreiben. Dinge, wie man sie in Fernsehsendungen über die Riffe an der Küste sieht, nur in der Größe von Häusern und gestreift wie Zebras. Dinge wie Fäuste, die sich aus dem Boden herausboxen, zum Himmel hinaufreichen und sich wie Finger spreizen. Dinge wie Fächer und Federn und Ballons und Fußbälle.
    So schnell?
    O ja. So schnell, dass es vor unseren Augen unser Matatu erwischte. Es kam an den Reifen und über die Stoßstangen herauf und überquerte die Bemalung wie eine Eidechse, die eine Wand hinauf huscht, und dem Ganzen entsprangen Tausende von winzigen gelben Knospen.
    Was habt ihr gemacht?
    Was glaubst du, was wir gemacht haben? Wir sind um unser Leben gerannt.
    Die Leute von Kombé?
    Als wir Hilfe von Tusha brachten, wurden wir von Hubschraubern angehalten. Soldaten, überall. Alle müssen dieses Gebiet verlassen, es handelt sich um eine Quarantänezone. Ihr habt vierundzwanzig Stunden Zeit.
    Vierundzwanzig Stunden!
    Ja, sie befehlen dir, ein ganzes Leben in vierundzwanzig Stunden zusammenzupacken. Die Blaumützen haben jede Menge Ingenieure ins Land gebracht, die sich an die Durchführung eines riesigen Projektes machten – alles war nur noch Schienen und Motoren. Die Nacht war taghell von flammenden Schweißbrennern. Sie pflügten Kiyamba mit Bulldozern unter, um einen neuen Behelfsflugplatz zu schaffen. Sie wollten Jets dorthin bringen. Und bevor sie uns gehen ließen, zwangen sie jeden Einzelnen, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Wir stellten uns in Reih und Glied auf und marschierten an diesen Männern in weißen Kitteln

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