Auf der Straße nach Oodnadatta
Wissenschaftlerin antwortete.
»Offiziell haben wir dazu keine Daten.«
Dann stand mein Vater auf und fiel ihr ins Wort.
»Was ist mit den Leuten, die verschleppt wurden?«
»Darüber weiß ich nichts …«, setzte die UNECTA-Wissenschaftlerin an, aber mein Vater ließ sich nicht unterbrechen.
»Was ist mit den Leuten aus Kombé? Worin bestehen diese Untersuchungen, die an ihnen durchgeführt werden?«
Die Wissenschaftlerin wirkte verunsichert. Der französische General ergriff wieder das Wort.
»Ich bin Soldat, kein Wissenschaftler. Ich habe im Kosowo und im Irak und in Ost-Timor gedient. Ich kann Ihre Fragen nur in meiner Eigenschaft als Soldat beantworten. Am vierzehnten Juni nächsten Jahres wird es hier bei Ihnen ankommen, hier auf dieser Straße. Gegen sieben Uhr dreißig abends wird es in diese Kirche eindringen. Am Dienstag Abend wird nichts mehr darauf hindeuten, dass es jemals einen Ort des Namens Gichichi gegeben hat.«
Und das war das Ende der Versammlung. Während die Leute von der UNECTA die Kirche verließen, drängten sich die Christen von Gichichi um meinen Vater. Was sollten sie glauben? Würde Jesus wieder auf Erden kommen, oder war es der Antichrist? Diese Fremdwesen, waren das Engel oder gefallene Geschöpfe wie wir selbst? Kannten sie Jesus überhaupt? Wie lautete Gottes Plan in der ganzen Sache? Frage um Frage um Frage.
Die Stimme meines Vaters klang müde und dünn und gehetzt, er wirkte wie ein Gepard, der von Treibern mit Stöcken vor die Gewehre der Jäger getrieben wird. Und genau wie dieser Gepard griff er seine Jäger an.
»Ich weiß es nicht!«, schrie er. »Ihr glaubt wohl, ich habe auf all diese Dinge eine Antwort, wie? Nein, ich habe keine Antworten. Ich bin nicht befugt, über diese Dinge zu reden. Niemand ist befugt dazu. Warum stellt ihr mir all diese blödsinnigen Fragen? Glaubt ihr denn, ein einfacher Landpfarrer hat die Lösung, um das Vordringen des Chaga aufzuhalten und es dorthin zurückzutreiben, woher es kommt? Nein! Nein, ich denke mir nach und nach, von Fall zu Fall, etwas aus, so wie alle anderen auch.«
Für einen Augenblick schwiegen alle Anwesenden. Ich hatte das Gefühl, vor Peinlichkeit sterben zu müssen. Meine Mutter berührte den Arm meines Vaters. Er hatte gezittert. Er entschuldigte sich bei seiner Gemeinde. Sie traten beiseite und gaben uns den Weg zum Ausgang der Kirche frei. Wir traten verblüfft auf die Schwelle. Es hatte tatsächlich so etwas wie eine Verschleppung stattgefunden. Sämtliche Flüchtlinge waren vom Gelände der Kirche verschwunden. Ebenso ihr armseliger Besitz, ihre Karren und ihre Tiere. Sogar ihre Exkremente waren beseitigt worden.
Auf dem Weg zurück zum Haus sah ich die Wissenschaftlerin, die beim Einsteigen in den UNECTA-Brummer am Allerhöchsten vorbeihuschte. Ich hörte, wie sie ihm zuflüsterte: »Das mit den Menschen – es stimmt. Aber sie haben sich verändert.«
»Inwiefern?«, wollte der Allerhöchste wissen, aber die Tür wurde geschlossen. Zwei Blaumützen hoben den verrückten Gikombe, der sich vor den Brummer gesetzt hatte, aus dem Weg, und das Fahrzeug bewegte sich langsam durch die Menschenmenge. Ich erinnere mich, dass das Gesicht der UNECTA-Frau Angst ausdrückte.
An diesem Nachmittag fuhr mein Vater auf der roten Yamaha davon und blieb fast eine Woche lang weg.
An jenem Tag lernte ich etwas über den Glauben meines Vaters. Nämlich dass er stark war, was die kleinen, lokalen Fragen anging, aber schwach, was die großen betraf. Er befasste sich mit Singen und Unterrichten sowie mit dem persönlichen Gebet und der Meditation, weil man diese Dinge im Leben der anderen tagtäglich sehen konnte. Aber in den großen Dingen, denjenigen, die man nicht sehen konnte, versagte er sich ihm.
Diese Versammlung war die Wunde, durch die Gichichi allmählich verblutete. »Dies ist unser Dorf, dies ist unser Land«, hatte der Allerhöchste erklärt, doch vor Ablauf der Woche hatte die erste Familie ihre Sachen auf die Ladefläche ihres Pickup gepackt und war dem Strom der Flüchtlinge auf der Straße nach Süden gefolgt. Danach verging keine Woche, ohne dass jemand aus unserem Dorf seine Tür für immer verschloss und Gichichi verließ. Die verlassenen Häuser fielen bald dem Verfall anheim. Es regnete hinein, Dächer brachen zusammen und dann setzten böse Buben sie in Brand. Die toten Häuser waren wie leere Schädel. Hunde fielen in Abtrittgruben und ertranken. Eines Tages, als wir zum Shamba hinuntergingen, waren vom
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