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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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und Gesichtsmasken an Schreibtischen vorbei.
    Warum?
    Ich glaube, sie wollten untersuchen, ob das Chaga-Zeug in uns eingedrungen ist.
    Was haben sie gemacht, das dich zu dieser Annahme veranlasst?
    Pfarrer, einigen haben sie auf die Schulter geklopft – einfach so. Wie Judas und der Herr, so sanft. Dann hat sie ein Soldat beiseite genommen und weggeführt.
    Und dann?
    Das weiß ich nicht, Pfarrer. Ich habe sie seither nicht mehr gesehen. Niemand hat sie danach je wieder gesehen.
    Die Geschichten bekümmerten meinen Vater sehr. Sie bekümmerten die Leute, denen er sie erzählte, sogar den Allerhöchsten, den das Erscheinen des Außerirdischen hier bei uns in eine so freudige Erregung versetzt hatte. Und ganz besonders bekümmerten sie die Vereinten Nationen. Zwei Tage später kam eine Mannschaft in fünf Armee-Brummern aus Nairobi an. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, meinen Vater und den Arzt anzuweisen, ihre Hilfsstationen zu schließen. Das offizielle Flüchtlingszentrum des UNHCR war Muranga. Niemand durfte hier in Gichichi bleiben, alle mussten gehen.
    Ohne dass die anderen es hörten, warnten sie meinen Vater, dass ein Mann seines Standes in anfälligen Gemeinden keine Gerüchte und Halbwahrheiten verbreiten sollte. Um sicherzustellen, dass wir die echte Wahrheit erfuhren, berief die UNECTA eine Versammlung in der Kirche ein. Alle drängten sich auf den Bänken, sogar die Muslime. Leute standen überall an den Wänden; manche, die im Freien geblieben waren, zerrten die Jalousien aus den Fensterrahmen, um etwas zu hören. Mein Vater saß mit dem Arzt und unserem Dorfoberhaupt an einem Tisch.Bei ihnen waren ein Regierungsvertreter, ein weißer Soldat und eine Asiatin in Zivilkleidung, die einen ängstlichen Eindruck machte. Sie war Wissenschaftlerin, Xenologin. Sie übernahm den Großteil des Redens; der Regierungsvertreter aus Nairobi drehte seinen Schreibstift zwischen den Fingern und klopfte damit auf die Tischplatte, bis die Spitze abbrach. Der Soldat, ein französischer Soldat mit Erfahrung in humanitären Krisen, saß reglos da.
    Die Xenologin erklärte uns, dass das Chaga den ersten Kontakt mit Leben außerhalb der Erde darstellte. Die Natur dieses Kontakts war ungewiss; er folgte keinem der Kommunikationsprogramme, auf denen unsere Voraussagen basierten. Dieser Kontakt war die physikalische Transformation unser heimischen Landschaft und Vegetation. Doch bei dem Inhalt des Packens handelte es sich keineswegs um Samen und Sporen. Die Dinge, die Kombé verzehrt hatten und die jetzt Tusha verzehrten, glichen eher winzigen Maschinen, die die Dinge dieser Welt in Stücke zerbrachen und in neuer, fremdartiger Form wieder aufbauten. Das Chaga reagierte auf Reize und machte Gegenangriffe aus eigenen Stücken unwirksam. UNECTA hatte es mit Feuer, Gift, radioaktivem Staub und genetisch manipulierten Krankheiten versucht. Jeder Schritt wurde schnell vom Chaga nachvollzogen. Es war jedoch nicht ersichtlich, ob es intelligent war oder vielmehr das Werkzeug einer bis jetzt noch nicht zu Tage getretenen Intelligenz.
    »Und was ist mit Gichichi?«, fragte Ismail, der Friseur.
    Jetzt übernahm der französische General das Wort.
    »Ihr werdet innerhalb eines angemessenen Zeitraums evakuiert werden.«
    »Aber wenn wir nicht evakuiert werden wollen?«, fragte der Allerhöchste. »Wenn wir beschließen, dass wir hier bleiben und es mit dem Chaga aufnehmen wollen?«
    »Ihr werdet evakuiert«, wiederholte der General.
    »Dies ist unser Dorf, dies ist unser Land. Wer seid ihr denn, dass ihr uns vorschreibt, was wir in unserem eigenen Land zu tun haben?« Der Allerhöchste war jetzt empört. Wir alle klatschten Beifall, sogar mein Vater in der Runde der UNECTA-Leute. Der Regierungsvertreter aus Nairobi sah verärgert aus.
    »Die UNECTA, der UNHCR sowie die Ostafrika-Schutztruppen der UN handeln aufgrund eingehender Informationen und in Übereinstimmung mit der kenianischen Regierung. Das Chaga wurde als Bedrohung menschlichen Lebens eingestuft. Alles, was wir tun, geschieht zu eurem Wohl.«
    Der Allerhöchste zeterte weiter. »Eine Bedrohung? Wer hat es so ›eingestuft‹? Die UNECTA? Eine Organisation, die zu neunzig Prozent von den Vereinigten Staaten von Amerika finanziert wird? Ich habe etwas anderes gehört, dass es nämlich weder Mensch noch Tier schadet. Es leben sogar Leute mitten im Chaga; das stimmt doch, oder etwa nicht?«
    Der Politiker sah den französischen General an, der die Achseln zuckte. Die asiatische

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