Auf der Straße nach Oodnadatta
Kanzel für den Anlass, dass der Bischof kam, um Kinder zu firmen. Hinter dem Altargeländer war der heilige Tisch, bedeckt mit einem weißen Tuch, sowie eine Nische in der Wand, worin der Abendmahlkelch und -teller standen. Wir hatten kein Weihwasserbecken. Wir führten die Gläubigen zum Fluss und tauchten sie unter. Meine Mutter und ich sangen im Chor. Die Gottesdienste zogen sich lange hin und waren – aus meiner heutigen Sicht – ziemlich langweilig, aber die Musik war wundervoll. Die Frauen sangen, die Männer spielten auf Instrumenten. Am besten spielte ein großer Luo, ein Lehrer an der Dorfschule, den wir ziemlich blasphemisch den ›Allerhöchsten‹ nannten. Es war ein schlichtes Instrument: Ein Kolbenring von einem altem alten Peugeot-Motor, den er mit einem schweren Stahlbolzen schlug. Das erzeugte einen großartig klingenden Rhythmus.
Was beim Bau der Kirche übrig geblieben war, wurde für das Haus des Pfarrers verwendet. Es hatte gegossene Betonböden und Fenster mit Jalousien, eine getrennte Küche und einen guten Holzkohleofen, der von einem Gemeindemitglied, das schmieden konnte, aus dem Zylinder eines Dieselmotors hergestellt worden war. Wir hatten elektrisches Licht, zwei Steckdosen und ein Radio mit Kassettenrecorder, aber kein Fernsehgerät. Das wäre einer Einladung des Teufels zum Abendessen gleichgekommen, erklärte uns mein Vater. Küche, Wohnzimmer, unser Schlafzimmer, das Schlafzimmer meiner Mutter, das Arbeitszimmer meines Vaters. Fünf Zimmer. Wir waren ziemlich vornehme Leute in Gichichi, für kalenjinsche Verhältnisse.
Gichichi war ein Dorf von dürftiger Weitläufigkeit: Läden, Schule, Postamt, Matatu-Büro, Tankstelle, Mandazi-Laden an der Hauptstraße. Die meisten Häuser erstreckten sich entlang der Fußwege, die den Terrassenfeldern an den Talhängen folgten. Eines davon war unser Shamba, etwa einen halben Kilometer zum Talboden hin. Der Weg dorthin führte an der Eingangstür der Familie Ukerewe vorbei. Die Ukerewe hatten sieben Kinder, die uns hassten. Sie bewarfen uns mit Kot oder Steinen und riefen uns Beschimpfungen wie ›eingebildete Kalenjin‹ und ›von Gott gehasste Episkopalisten‹ nach. Sie gehörten der Afrikanischen Inlandskirche der Kikuyu an, und sie hatten keine Achtung vor den Glaubenslehren des Bischofs.
Wenn die Kirche für meinen Vater das Paradies darstellte, dann war es das Shamba für meine Mutter. Die Luft im Tal war kühl und man hörte, wie der Fluss unten über die Steine rauschte. Wir bauten Kukuruz und Kürbisse und etwas Zuckerrohr an, das die einheimischen Schwarzbrenner meinem Vater abkauften und er ahnungslos tat. Bohnen und Chilis. Zwiebeln und Kartoffeln. Zwei Bäume mit Fingerbananen, obwohl M’zee Kipchope beharrlich behauptete, sie saugten der Erde das Leben aus. Der Kukuruz wuchs so hoch, dass er meinen Kopf überragte, und ich rannte gern in das Zuckerrohrfeld und redete mir ein, dass zwei Schritte mich aus dieser Welt in eine andere versetzt hätten. Stets erklang Musik; das Solarradio, oder der gemeinschaftliche Gesang der Frauen, wenn sie sich gegenseitig beim Hacken oder beim Heuen halfen. Ich pflegte mit ihnen zu singen, denn ich stand in dem Ruf, gut im Harmonisieren zu sein. Auch im Shamba gab es eine Stelle, wo die heiligen Requisiten aufbewahrt wurden. Zwischen den dichten, verschlungenen Tentakeln eines alten Baums, der von Feigen stranguliert worden war, hinterließen die Frauen kleine hölzerne Statuen, Geldgeschenke, von indischen Händlern erworbenen Schmuck und Bier.
Sie fragen sich, wie es sich mit dem Chaga verhielt? Sicher haben Sie auf Grund der Daten errechnet, dass ich neun Jahre alt war, als die erste Ladung auf den Kilimandscharo herabkam. Wie konnte ein so gewaltiges Ereignis, dieser Vorgang, dass eine andere Welt die unsere übernimmt, so wenig Einfluss auf mein Leben gehabt haben? Das ist einfach, wenn sie einem nicht näher ist als jede andere Welt. Wir sind nicht ganz unwissend in Gichichi. Wir hatten die Bilder vom Kilimandscharo im Fernsehen gesehen, hatten die Artikel in der Zeitung Die Nation über das Ding gelesen, das wie ein Korallenriff und ein Regenwald ist und das aus dem Gegenstand am Himmel herauskam. Wir hatten die Diskussionen über die Geschwindigkeit seines Anwachsens im Radio gehört – fünfzig Meter jeden Tag, so hatte es sich unseren Gehirnen eingeprägt – und die Mutmaßungen darüber, was es wohl sein und woher es wohl kommen könnte. Jeden Morgen durchzogen die
Weitere Kostenlose Bücher