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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Kondensstreifen der großen UN-Jets unseren Himmel, die immer mehr Menschen und Maschinen herbeibrachten, um das Phänomen zu untersuchen, aber es war eine andere Welt. Es war nicht unsere Welt. Unsere Welt war die Kirche, unser Zuhause, das Shamba, die Schule. Bibelstunden am Montag. Gesangsunterricht, Hausarbeits-Club. Nähen, Unkraut jäten, Ugali rühren. Mit Klein-Ei und Grace und Ruth vom Nachbargrundstück spielen: nicht zu laut, Vater arbeitet. Einmal in der Woche die Mobilbank. Alle vierzehn Tage die Mobilbücherei. Verrückte kleine Matatus rasten dahin und überholten alles, was ihnen in den Weg kam, Leute hingen aus allen Türen und Fenstern. Große dreckige Überlandbusse schlängelten sich schwer wie Ochsen die steile Straße hoch. Gikombe, der Dorfnarr, falls wir uns einen hätten leisten können, setzte sich, eingehüllt in dungfarbene Tücher, vor den Überlandbussen auf den Boden, um sie am Weiterfahren zu hindern. Regen und Hitze und kalter Nebel. Menschen wurden geboren, Menschen heirateten, Menschen trennten sich oder wurden krank oder starben durch Unfälle. Kilimandscharo, das Chaga? Ein weiteres Bild in einer Welt, in der alle Bilder aus der gleichen Entfernung kommen.
    Ich war dreizehn und gerade erst zur Frau geworden, als das Chaga in meine Welt kam und sie zerstörte. An jenem Abend war ich bei Grace Muthiga, mit der ich einen Hausarbeits-Club unterhielt. Das war ein Vorwand, um Radio zu hören. Eine der großen Errungenschaften, die uns die Übernahme unseres Landes durch die Vereinten Nationen beschert hat, ist der Umstand, dass das Radio sehr gut ist. Ich sang gern als Begleitung dazu. Man spielte die Art von Musik, die bei uns zu Hause nicht geschätzt wurde.
    Wir hörten uns Trip-hop an. Plötzlich ertönte die Musik in einem abgehackten Laut und Leise, als ob der Empfang ständig von klar auf unklar wechselte. Anfangs dachten wir, die Aufnahme sei defekt oder so etwas, dann stand Grace auf, um am Senderwahlknopf herumzudrehen. Dadurch wurde es nur noch schlimmer. Graces Mutter kam aus dem Nebenraum herein und sagte, sie bekäme kein Bild im Batteriefernseher, auf dem Bildschirm seien nur Wellenlinien. Dann hörten wir den ersten Knall. Er war weit weg und klang hohl und grollend wie Donner. Im Hochland haben wir fast jeden Abend ein Gewitter. Wir wissen sehr gut, wie es sich anhört. Das hier war etwas anderes. Bumm! Noch mal. Jetzt näher. Draußen Stimmen, und Lichter. Wir nahmen Taschenlampen zur Hand und gingen hinaus zu den Stimmen. Auf der Straße wimmelte es von Leuten; Männer, Frauen, Kinder. Überall wurden die Taschenlampenstrahlen geschwenkt. Bumm! Jetzt so nahe, dass die Fenster klirrten. Alle Leute richteten ihre Lampen senkrecht zum Himmel hinauf, wie Lichtspeere. Jetzt weinten die Kinder, und ich hatte Angst. Der Allerhöchste hatte die Antwort: »Überschallknall! Irgendetwas ist da oben!« Er hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, da sahen wir es. Es war sehr langsam. Das war das Erstaunliche daran. Es war, als ob ein Kind einen Kreidestrich über eine Tafel zöge. Es kam von Südosten her, über die Hügel östlich von Kiriani, geradlinig wie ein Pfeil, ein wenig südlich von uns. Die Nacht war so, wie wir sie oft gegen Ende Mai haben: klar nach abendlichem Regen und voller Sterne. Wir alle sahen einen leuchtenden Fleck, der den Sternenhimmel durchschnitt. Er schien zu schweben und zu tanzen, wie die Sinnestäuschungen des Auges, wenn man in die Sonne blickt. Er ließ einen Schweif hinter sich wie die Kondensstreifen der großen UN-Jets, jedoch von einem reinen, leuchtenden Blau, auf die Nacht gezeichnet. Jetzt ein Doppelknall, so laut und nah, dass er in den Ohren weh tat. Daraufhin begann eine alte Frau zu wehklagen. Die Angst sprang auf die anderen über, und bald blickten ganze Familien hinauf zu dem Lichtstreifen am Himmel; Tränen rannen über ihre Gesichter, bei Männern und Frauen gleichermaßen. Viele setzten sich zu Boden und legten sich die Taschenlampen in den Schoß, ratlos, was sie tun sollten. Einige der älteren Leute zogen sich Jacken und Schals über die Köpfe oder bedeckten sie mit Zeitungen. Andere sahen, was sie taten, und bald saß jeder mit bedecktem Kopf am Boden. Nicht jedoch der Allerhöchste. Er stand aufrecht da und beobachtete, wie der Lichtstreifen die Nacht in zwei Hälften teilte. »Wunderschön!«, sagte er. »Dass ich so etwas erblicken darf, mit eigenen Augen!«
    Er stand da und schaute zu dem Ding hinauf, bis es in der

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