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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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ich unbedingt sterben wollte. Ich hatte das zerstört, was ich hatte retten wollen, und das gerettet, was wertlos war. Dann beschleunigten die Motoren dröhnend, wir nahmen Anlauf, und obwohl ich nur die Rückenlehnen der Sitze und die graue Metallwölbung der großen Kabine sehen konnte, wusste ich es, als wir vom Boden abhoben, denn ich spürte, wie meine Bande zu Kenia zerbrachen und meine Heimat unter mir wegfiel, während mich das Flugzeug ins Exil brachte.
    Ich unterbreche jetzt meine Geschichte, denn darüber, wie sie nun weitergeht, berichtet am besten eine andere Stimme.
     
    * * *
     
    Ich heiße Sean. Das ist ein irischer Name. Ich bin kein Ire. An mir ist überhaupt nichts Irisches, wie Sie wahrscheinlich merken. Meiner Mutter gefiel dieser Name. Irisches Zeug war damals modern, vor dreißig Jahren. Meine Geschichte wird Tendeléos Erzählung wahrscheinlich nicht gerecht; dafür möchte ich mich entschuldigen. Meine Begabung liegt eher auf dem Gebiet der Zahlen. Angeblich. Ich bin Buchhalter ohne Überzeugung. Was ich mache, mache ich gut, mir geht es einfach nur nicht unter die Haut. Deswegen hat mich meine Firma an allen möglichen verschiedenen Stellen eingesetzt. Eine davon war dieses Afrikanisch-Karibische-Welt-Restaurant gleich bei der Canal Street. Sein Name war I-Nation – die Speisekarte wechselte jede Woche, das Ambiente war großartig und die Musik phantastisch. Als ich zum ersten Mal hier einen Anzug trug, nahm Winton, der Besitzer, mich so sehr auf die Schippe, dass ich mich nie mehr für einen Besuch dort herausgeputzt habe. Ich saß einfach an einem Tisch und beschäftigte mich mit seiner Umsatzsteueranmeldung und ertappte mich dabei, dass ich im Rhythmus des Schlagzeugs und des Basses nickte. Wynton probierte neue Stücke an mir aus, und ich tat meine Meinung dazu mit hochgerecktem oder gesenktem Daumen kund. Dann bereitete er mir einen Kaffee mit diesem Likör, den er aus Jamaika importierte, und damit war der Nachmittag gelaufen. Es kam mir schändlich vor, ihm eine Rechnung zu schicken.
    Eines Tages sagte Wynton zu mir: »Du solltest zu unserer Abendsession kommen. Gute Musik. Nicht dieser Bumm Bumm Bumm-Scheiß. Keine verdammten DJs. Echte Musik. Live Musik.«
    Meine Kumpels jedoch standen auf verdammten DJs und dem Bumm Bumm Bumm, also ging ich allein ins I-Nation. An der Tür hatte sich eine Schlange gebildet, aber der Türsteher holte mich mit einem Nicken gleich herein. Ich bekam einen Platz an der Bar und einen Spezialkaffee, auf Kosten des Hauses. Die Veranstaltung hatte bereits begonnen, der Boden hob und senkte sich. Die Band verstand es, Leute in Bewegung zu bringen. Nachdem eine Reihe von Tänzen zu Ende war, machte der Gitarrist eine Handbewegung hinter die Kulissen. Ein Mädchen stellte sich ans Mikrofon. Ich erkannte sie – sie arbeitete nachmittags als Kellnerin. Sie war ein kleines, leises Mädchen, irgendwie unscheinbar, abgesehen von ihren Haaren, die wie Stacheln abstanden, als ob sie sie nach einem Schnitt mit dem auf Null gestellten Rasierer nachwachsen lassen würde.
    Sie richtete sich hinter dem Mikrofon auf und lächelte um Entschuldigung heischend. Dann fing sie an zu singen, und ich fragte mich, wie ich sie jemals für unscheinbar hatte halten können. Es war ein langsames, leises Lied. Ich verstand die Sprache nicht. Das war auch nicht nötig, denn ihre Stimme sagte alles: Verlust und Schmerz und verlorene Liebe. Bass und Rhythmus nahmen die Traurigkeit und die Tiefe jeder Silbe auf. Sie war etwas über eins fünfzig groß und sah aus, als würde sie bei jedem Lufthauch in zwei Hälften zerbrechen, aber ihre Stimme hatte eine durchdringende Kraft, die besagte: ich bin an jenem Ort gewesen, von dem ich singe. Die Zeit blieb stehen, sie hielt eine Note, dann ließ sie sie los. Im I-Nation herrschte eine Zeit lang Stille. Dann explodierte die Begeisterung in lautem Beifall. Das Mädchen verneigte sich schüchtern und entfernte sich unter Johlen und Pfeifen. Zwei Minuten später war sie wieder bei der Arbeit, spülte Gläser. Ich konnte die Augen nicht von ihr abwenden. Man kann sich innerhalb von fünf Minuten verlieben. Das ist überhaupt nicht schwer.
    Als sie kam, um mein leeres Glas mitzunehmen, brachte ich lediglich heraus: »Das war … großartig.«
    »Danke.«
    Und das war’s auch schon. Wie ich Ten kennen gelernt, drei blöde Worte zu ihr gesagt und mich in sie verliebt habe.
    Ich konnte ihren Namen nie aussprechen. Nachmittags, wenn es an der Bar

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