Auf der Straße nach Oodnadatta
eine Krankheit anfühlte. Ich pflegte sie zu beobachten, ohne mir dessen bewusst zu sein – beobachtete die Art und Weise, wie sie beim Telefonieren die Hände bewegte, wie sie beim Fernsehen die Beine unter sich verschränkte, wie sie sich morgens die Zähne putzte. Manchmal wachte ich nachts auf, nur um sie beim Schlafen zu beobachten. Ich lauschte, ob sie noch atmete. Ich fürchtete etwas Wahnwitziges, etwas, das aus dem Nirgendwo käme und sie wegholen würde.
Sie klebte eine Satellitenaufnahme von Afrika an den Kühlschrank. Sie zeigte mir, wie man die Kreise des Chaga durch die Wolken verfolgen konnte. Jede Woche brachte sie das Bild auf den neuesten Stand. Woche um Woche, die Kreise flossen allmählich zusammen. Auf diese Weise maß ich unser gemeinsames Leben, anhand der zusammenfließenden Kreise. Woche um Woche wurde ihr ein Stück ihrer Heimat weggenommen. Ihre Eltern und ihre Schwester waren dort unten, unter diesen blauen und weißen Wolkenbalken; Woche um Woche verringerten die Kreise ihre Entscheidungsmöglichkeiten.
Sie erlaubte sich niemals zu vergessen, dass sie ihnen gegenüber versagt hatte. Sie erlaubte sich niemals zu vergessen, dass sie Flüchtling war. Das war der Grund, warum sie in gewisser Weise älter war als ich. Das war der Grund für all ihre peinliche Sauberkeit und Ordnung rund um unseren Haushalt. Sie hielt sich nur für eine begrenzte Zeit hier auf. Alles konnte von einem Augenblick zum anderen mitgenommen werden.
Sonntags kochte sie gern für mich, obwohl die Küche eine Woche lang danach roch. Ich habe ihr nie gesagt, dass ich von ihrem Essen die Scheißerei bekam. Sie hackte irgendetwas klein, das sie in den karibischen Geschäften gekauft hatte, und sang dabei vor sich hin. Ich beobachtete sie vom Flur aus, so wie ich es überhaupt liebte, sie zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Ich sah, wie sie das Messer senkte, hörte einen Fluch in ihrer Kalenjinsprache, sah, wie sie die Hand zum Mund hob. Ich schoss blitzschnell in die Küche.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, fluchte sie. Es war ein tiefer Schnitt, und Blut floss reichlich über ihren Finger. Ich schob sie schnell zum Spülbecken und hielt ihn unter kaltes Wasser, dann holte ich Verbandszeug. Ich kam mit Gaze, Pflaster und einem Ich-heile-die-Welt-Gehabe zurück.
»Alles in Ordnung«, sagte sie und streckte den Finger hoch. »Ist schon besser.«
Der Schnitt war verschwunden. Kein Blut, keine klaffende Wunde. Das Einzige, was geblieben war, war ein leicht geschwollener roter Striemen. Und vor meinen Augen verblasste auch dieser.
»Wie ist das möglich?«
»Ich weiß nicht«, sagte Ten. »Aber es ist wieder gut.«
Ich fragte nicht weiter. Ich wollte nicht fragen. Ich wollte nicht etwas sein, das Tens Leben noch schwieriger oder komplizierter machte. Ich wollte, dass das, was sie aus der Vergangenheit mit sich trug, alles war, ausreichte. Ich wusste, dass hier etwas Fremdweltliches im Spiel war; bei niemandem heilte eine Wunde derart schnell. Ich dachte, wenn ich es darauf beruhen lassen würde, würde es uns nie mehr behelligen. Ich hatte nicht mit der Bombe gerechnet.
Irgendwelche Scheiß-Nazis oder andere Typen hatten Bomben in Schwulenkneipen hochgehen lassen. Bis jetzt in London, Edinburgh, Dublin, immer am Freitag Nachmittag: Arbeitsschluss, Anfang des Wochenendes. Manchester war wachsam. Die Bombenleger ebenfalls. An einem Dienstag, zur Mittagspausenzeit, ging ein halbes Kilo Semtex, gespickt mit Nägeln und Rasierklingen, unter einem Tisch vor einer Bar in der Canal Street los. Niemand kam ums Leben, aber eine Frau am Nachbartisch verlor beide Beine von den Knien abwärts und es gab mehr als fünfzig Opfer. Ten war auf dem Weg zur Nachmittagsschicht. Sie war zwanzig Meter weit entfernt, als die Bombe explodierte. Ich wurde zur selben Zeit vom Krankenhaus angerufen, als die Nachricht im Radio durchkam.
»Mach, dass du schleunigst dorthin kommst«, befahl Willy, mein Chef. Ich brauchte keinen Befehl. Die Unfallklinik Manchester Royal Infirmary war ein Irrenhaus. Ich sah, wie die Ärzte in gemessener Eile herumliefen und die Leute bei jedem, der hereinkam, aufblickten, sehr, sehr ängstlich, und die Polizei, die Aussagen aufnahm, und die Rollstühle in den Gängen, und ich dachte, so ungefähr muss es in Nairobi gewesen sein, am Ende. Die Empfangsschwester führte mich in einen Raum, wo ich auf einen Arzt warten sollte. Ich traf die Ärztin im Gang, eine kleine, gequält aussehende junge
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