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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Für einen Augenblick hatte ich mich hinter die Bilder begeben, die alles sind, was uns von dieser Welt zu wissen gestattet ist, das wirkliche Leben. Und jetzt hatte das Unheil eines dieser wirklichen Leben auf die Straßen von Manchester ausgespuckt. Wir saßen am letzten Tisch bei der letzten Kerze, als Ten dazu kam, mir zu erzählen, wie sie zusammen mit den anderen Kenianern am Flughafen Charles de Gaulle ausgeladen und monatelang auf Grund von EU-Flüchtlingsquoten weiter verschoben worden war, bis sie schließlich krank vom Jetlag, unter einem Kulturschock leidend und arm wie eine Maus im Grau und der Feuchtigkeit des englischen Sommers angekommen war.
    Danach schwieg ich eine ganze Weile lang. Nichts, was ich hätte sagen können, wäre dem angemessen gewesen, was ich gehört hatte. Dann sagte ich: »Möchtest du mit zu mir kommen, für einen Drink oder einen Kaffee oder irgendetwas?«
    »Ja«, sagte sie. Ihre Stimme war rau vom vielen Reden, und tief, und unerträglich reizvoll. »Das würde ich sehr gern.«
    Ich hinterließ der Bedienung ein großes Trinkgeld für langes Ausharren und Diskretion.
    Ten gefiel es bei mir. Es erstaunte sie, wie viel Platz ich hatte. Ich ließ sie zusammengeringelt auf meinem Sofa sitzen und den Raum genießen, während ich ging, um eine Flasche Wein zu öffnen.
    »Schön hier«, sagte sie. »Warm. Groß. Hübsch. Deins.«
    »Ja«, sagte ich, wobei ich mich vorbeugte und sie küsste. Dann, bevor ich wusste, was ich getan hatte, nahm ich ihren Arm und küsste den runden roten Fleck ihres Chips. In dieser Nacht schlief Ten bei mir, aber wir hatten keinen Sex miteinander. Sie lag bis zum Morgen, zusammengerollt und keusch, in meiner Bauchkuhle. Sie schrie im Schlaf mehrmals laut auf. Ihre Haut roch nach Afrika.
    Die Dreckskerle strichen ihr tatsächlich das Wohngeld. Ten war zutiefst bekümmert. Wohnen bedeutete ihr alles. Ihr ganzes Leben war eine einzige lange Suche nach einem Zuhause gewesen; sicher, ungefährdet, stabil.
    »Du hast zwei Möglichkeiten«, sagte ich. »Erstens: gib die Arbeit hier auf.«
    »Niemals«, sagte sie. »Ich arbeite gern.« Ich sah wie Wynton, der hinter der Bar Gläser polierte, lächelte.
    »Dann also die zweite Möglichkeit.«
    »Welche ist das?«
    »Zieh bei mir ein.«
    Sie nahm sich eine Woche Zeit, um sich zu entscheiden. Ich verstand ihr Zögern. Es war ein Zuhause, sicher, ungefährdet, stabil, aber es war nicht ihrs. Am Samstag rief sie mich an. Ob ich ihr beim Umzug helfen könnte? Ich ging zu ihrer Wohnung in Salford. Die Zimmer waren schäbig und kalt, die Tapeten hässlich, die Möbel stammten aus dem Wohltätigkeitsladen. Im ganzen Haus roch es nach Rauschmitteln. Der Fernseher lief, unbeachtet; drei verschiedene Tonkanäle wetteiferten miteinander. Während Ten ihre Sachen zusammenpackte, starrten ihre Mitbewohner mich an, als ob ich etwas wäre, das aus dem Chaga kam. Sie hatte zwei Taschen – eine mit Kleidung, eine mit Musik und Büchern. Wir packten sie in den Kofferraum meines Wagens, und sie zog bei mir ein.
    Leben mit Ten. Sie stellte ihre Bücher in ein Regal und legte ihre Kleidung in eine Kommode. Sie improvisierte Harmonien zu meiner Musik. Unter jedem möglichen Vorwand zündete sie Kerzen an. Sie verbrachte Stunden im Bad und verbrauchte rollenweise Toilettenpapier. Sie war pingelig sauber. Sie ging mit ihrem wenigen Geld sehr vorsichtig um. Sie borgte sich nichts von mir. Sie arbeitete weiterhin im I-Nation, sie sang jeden Freitag. Sie brachte mich immer noch jedes Mal um, wenn sie auf die Bühne stieg.
    Sie sprach wenig, aber das Wenige verriet viel. Für mich war sie unergründlich dunkel und eindringlich schön. Sie lächelte nicht oft. Wenn sie es tat, war es, als ob ein Messer mein Herz durchbohrte. Es war eine beißende Freude. Sex hatte eine beißende Schärfe von einer anderen Sorte – jedes Mal schien sie Schwierigkeiten damit zu haben. Sie verlor sich nicht im Sex. Ich glaube, es machte ihr viel Spaß, aber es war etwas Beherrschtes – es war etwas, das sie besaß. Sie ließ sich zu keinem einzigen Laut hinreißen. Sie fürchtete sich ein wenig vor dem Tier in sich. Sie wirkte entschieden älter, als sie wirklich war. Die paar Mal, die wir tanzen gingen, brach die Energie, die sie beim Singen und beim Sex befeuert hatte, bei ihr durch. Bei diesen Gelegenheiten überraschte sie mich damit, eine kluge, energische, umgängliche Achtzehnjährige zu sein. Sie liebte mich. Ich liebte sie so heftig, das es sich wie

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