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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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wie die Triebe mit winzigkleinen, tödlichen Vorwärtsbewegungen um sie herumwuchsen! Sie biss in die zweite Ranke und der bittere Geschmack der Blätter erfüllte ihren Mund. Was, wenn sie giftig waren? Nicht daran denken, nicht jetzt. Sie durchbiss eine dritte Ranke.
    Kaum in der Lage, sich zu bewegen, krümmte und wand Dee sich auf dem Bett und kämpfte mit aller Kraft gegen das bornierte Wuchern der Schlingpflanzen an. Es kam der Moment, als sie dachte, sie hätte verloren, weil die Ranken einfach zu zahlreich waren. Aber die Pflanze war tatsächlich borniert. Dee kalkulierte, an welcher Stelle die größte Gefahr drohte, und es gelang ihr, durch kluges Einsetzen der Muskelkraft und mit ein wenig Glück, eine Hand soweit freizubekommen, um das Wasserglas neben dem Bett zerbrechen zu können; mit den Scherben bewaffnet ging sie zum Angriff über, und Blut strömte sogleich über die Laken, über die grünen Blätter, über ihren Körper.
    Aber sie war frei. Sie rollte sich vom Bett, rannte weg und sank keuchend zu Boden.
    Von hier aus betrachtet, schien die Pflanze weit weniger rasch zu wachsen. Nicht mehr als etwa zwanzig Zentimeter pro Stunde.
    Zwanzig Zentimeter pro Stunde! Dee hatte nicht gewusst, dass die Entwicklung der Gentechnik – selbst in den skrupellos arbeitenden Geheimlabors – bereits so weit fortgeschritten war. Vielleicht wenn man die Phototropismus-Gene der Pflanzen direkt mit den Wachstumsgenen koppelte? Dee hatte keine Ahnung. Sie wollte es gar nicht wissen. Sie war soeben fast gestorben.
    Der etwa fünfzig mal fünfzig Zentimeter große Behälter mit der Nährflüssigkeit stand unter dem Bett, ein wenig zu dem südseitigen Fenster hin gekippt, das bei der Wohnungssuche den Ausschlag gegeben hatte. Als Dee schlafen gegangen war, hatte der Behälter nicht unter dem Bett gestanden. Wer immer ihn hingestellt hatte, wusste, wie man die Überwachungseinrichtung und das Nervengas umging. Vermutlich waren die Pflanzen die Nacht über nur langsam, wenn überhaupt, gewachsen, ehe das erste Licht des Morgens ihre höchst effiziente Energienutzung dazu getrieben hatte, alles in ihr Wachstum zu investieren, in ein wildes, explosives Wachstum, das die Pflanze in kürzester Zeit völlig erschöpfte. Schon jetzt sahen die Ränder der ältesten Blätter gelb aus. Wachse schnell, lebe intensiv, stirb jung.
    Dee suchte nach dem Pflaster, fand es an ihrem Knöchel und zog es ab. Was auch immer da in ihren Blutkreislauf gesickert war, es hatte sie den ganzen hellen Morgen über verschlafen lassen. Es war fast Mittag.
    Sie hockte zusammengesunken auf dem Boden und sah zu, wie die Kamikaze-Pflanze starb.
     
    »Und das Geld war noch da«, sagte Eliot.
    »Unberührt.«
    »Also wollte man dich nur umbringen.«
    »Gut beobachtet, setzen, Herr Rechtsanwalt«, knurrte Dee. Sie zitterte immer noch ein wenig. Sie saßen in einem Kaffeehaus in der Nähe von Dees Wohnung. Heute war die Luft wieder besonders schlecht, und einige Leute trugen sogar im Lokal Masken. Die Hitze im Raum raubte Dee den Atem; sie konnte sich noch an die Zeit erinnern, als Klimaanlagen nicht die Welt gekostet hatten – buchstäblich.
    »Ich möchte wissen, wie ich jetzt am besten weitermache, Eliot«, fuhr sie fort. »Wäre es eine Hilfe für Perris Berufungsverfahren, wenn ich die Polizei kommen lasse und ihr den Beweis für einen Mordversuch liefere?«
    »Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen«, sagte Eliot. Er zog sein klebriges Hemd eine Sekunde lang von der Brust weg. »Du kannst nicht beweisen, wer es getan hat, oder auch nur, dass der Mordversuch in irgendeiner Weise mit Perris Erlebnissen zusammenhängt. Ja, es war eine Waffe aus dem Arsenal der Gentechnik, aber das allein verbindet sie noch nicht mit irgendeiner spezifischen illegalen Organisation.«
    »Lieber Himmel, denkst du etwa, dass es Legionen von Leuten gibt, die darauf aus sind, mich umzubringen? Wer sollte es sonst sein?«
    »Du bist ein Ex-Bulle«, sagte Eliot, »und ich muss dich doch nicht extra darauf hinweisen, dass Ex-Bullen des Öfteren von Leuten aufs Korn genommen werden, die sie irgendwann mal festgenommen und in den Knast gebracht haben. Manchmal Jahre später. Es rennen jede Menge Verrückte da draußen herum. Dein ›Beweis‹ ist bloß ein Indizienbeweis, Dee, wenn überhaupt. Es gibt keinen handfesten Hinweis auf eine Verbindung.«
    »Und was wäre ein ›handfester Hinweis‹? Meine Leiche?«
    »Das nicht gerade, bleib auf dem Teppich, Dee. Aber wenn

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