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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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unfähig. Sonst wären Leute wie Perri nicht drinnen und die Genverschmutzer draußen.«
    Paula sagte: »Momentan haben wir gar nichts laufen«, was wahrscheinlich gelogen war. Aber Dee war auch ans Angelogenwerden gewöhnt; Bullen wurden von allen angelogen: von den Verdächtigen, von den Zeugen, von den Opfern. Es war eine Realität des Lebens auf der Straße.
    Mehr sagte Paula nicht, was ein gutes Zeichen war. Sie würde Dee und Perri überprüfen lassen und herausfinden, dass Dees Geschichte stimmte. Es war ein Anfang. Das Heranzüchten von Informanten war ein langwieriger Prozess.
    In Manhattan gab es diese Informanten bereits – zumindest diejenigen, die man in dem einen Jahr, seit Dee sich in den Ruhestand hatte versetzen lassen, weder umgebracht noch eingelocht hatte und die auch nicht an »umweltbedingten Erkrankungen« gestorben waren. Doch auch als Dee eine ganze Woche lang ihr altes Netzwerk abklapperte und zahlreiche Hände schmierte, kam nichts zum Vorschein als Lügen. Und dann traf sie auf Gum, den Zahnlosen.
    Niemand wusste, wie alt er war, nicht einmal Gum selbst. Er hatte braunviolette Melanome auf Armen und Glatze. Veranlagung oder zu viel Sonne oder einfach Pech. Er lehnte jede medizinische Behandlung ab, ebenso wie Atemmasken und falsche Zähne. Gum lebte überall und nirgends. Er erinnerte sich an das Leben vor der Krise, vor der fluchtartigen Abwanderung aller Wirtschaftszweige aus Manhattan, erinnerte sich gelegentlich sogar an die Zeit vor der Jahrhundertwende. Er war ein alter, stinkender, sterbender Mann, und schon allein der Umstand, dass es ihm gelungen war, so lange zu überleben, hatte ihm eine Art mythischer Dimension verliehen, fast eine göttliche Aura. Oben im Central Park gab es Punks und Gauner und Hyänen, die zutiefst davon überzeugt waren, dass die ganze schreckliche Rache des Schicksals denjenigen heimsuchen würde, der es wagte, Gum umzubringen. Obwohl Dee sich nichts vorstellen konnte, was schrecklicher sein konnte als das Leben, das sie bereits führten. So wie etliche andere Teile von Manhattan war auch der Park jeglicher polizeilichen Kontrolle total entglitten. Kein Bulle wagte sich dorthin, niemals, unter keinen Umständen.
    Dee entdeckte Gum in einem Lokal in der Nähe der faulenden Docks am East River. Die Straße galt inoffiziell als neutrale Zone. »He, Gum!«
    Er starrte Dee verständnislos an. Gum weigerte sich auch, irgendjemanden offen wiederzuerkennen. Dee hatte jedoch den Verdacht, dass er über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte.
    »Dee Stavros, erinnerst du dich? Polizei New York.«
    »He!«
    »Möchtest du eine Limo?« Gum trank keinen Alkohol.
    »He!« Er hievte sich neben Dee auf den Barstuhl.
    »Gum, ich bin auf der Suche nach jemandem.«
    Mit seiner quengeligen Greisenstimme sagte Gum: »Bin auf der Suche nach Gott seit hunnert Jahr’!«
    »Aha, also lass es mich wissen, wenn du Ihn findest, ja? Oder einen Kerl, der sich möglicherweise ›Mike‹ nennt. Oder auch nicht. Er hat ’ne illegale Gentech-Sache laufen, auf einem Schiff. Dort macht er auch Abtreibungen.«
    »Abtreibungen?«, wiederholte Gum in zweifelndem Tonfall.
    »Ja, du weißt schon, solche Weibersachen. Hast du irgendwas gehört?«
    »Hunnert Jahr’«, sagte Gum. »Is’ schon lang vermisst.«
    Er meinte Gott, nicht Mike. Gum redete erst, wenn er in der Stimmung war.
    »Wenn du was hörst, möchte ich es wissen.« Sie schob ihm die Geldchips so unauffällig zu, dass es nicht einmal der Mann hinter der Theke bemerkte.
    »Plötzlich vermisst. Hat uns einfach verlassen.«
    »Wem sagst du das, Gum.«
    »Hunnert Jahr’.«
     
    Sie ging zum nächsten Treffen der Aktivisten, bearbeitete Paula Caradine. Doch bevor sich dort noch irgendetwas tun konnte, rief Eliot an. Er sprach in diesem betont unpersönlichen, monotonen Tonfall, den manche Rechtsanwälte hervorholen, wenn es um etwas wirklich Ernstes geht.
    »Dee, ich möchte, dass du dir etwas ansiehst. Wir treffen uns in einer Stunde bei der Zentrale für Gentech-Beweise. Du weißt, wo das ist?«
    »Klar weiß ich das! Kannst du mir sagen …?«
    »Nein.« Er schaltete ab.
    Die Zentralstelle für Beweismaterial im Zusammenhang mit dem Verbrechen der gentechnischen Manipulation, Bezirk Groß-New York, befand sich in Brooklyn. Es war wiederum ein Tag mit schlechter Luft, und Dee trug ihre Maske während der ganzen Fahrt und der fünfzehnminütigen Wartezeit vor dem schwer bewachten Gebäude. Kein Zutritt ohne fünf Millionen

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