Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Geschäften wird Kleidung angeboten, die der Mode der Siebzigerjahre entspricht. Die Buchhandlungen gehören nicht zu den großen Ketten, in denen auf riesigen Stapeln die ewig gleichen Bestseller angeboten werden, sondern es sind kleine, unabhängige Läden mit einem sorgfältig ausgewählten Sortiment, in dem es Spaß macht zu stöbern. Politische Bekenntnisse in Form von Fahnen in Regenbogenfarben und Plakaten, auf denen zum Abzug der US-Truppen aus dem Irak aufgefordert wird, gehören ganz selbstverständlich zum Straßenbild. Das erinnert mich an die Zeit, in der in Westdeutschland ein Autoaufkleber als Zeichen des Protests gegen Atomenergie nicht nur eine Meinung zu einer bestimmten Sachfrage, sondern zugleich Zustimmung zu einer umfassenden Weltanschauung signalisierte.
Wo es keine verschiedenen Generationen gibt, da spielt auch Alter keine Rolle. Jetzt, wo die meisten Sommergäste abgereist sind und Provincetown ziemlich leer ist, begegnet man auf der Straße, in Restaurants und in Geschäften fast ausschließlich denen, die es geschafft haben, sich hier einzurichten. Die angekommen sind. Von der rebellischen Aufbruchstimmung, die einst diese Stadt berühmt gemacht hat, ist nichts mehr zu spüren. Stattdessen: spätes Mittelalter.
Rene Leblanc zum Beispiel. Der 58-Jährige besitzt einen Laden in der besten Gegend der Stadt mit Designerschalen, ungewöhnlich geformten Halsketten und Ohrringen, Kästchen aus edlen Hölzern, Kristallvasen. Vieles hat er aus Europa importiert. Der Sohn französischer Einwanderer hat es zu etwas gebracht im Leben – und er wollte dieses Leben immer unbedingt in Provincetown verbringen.
Als 17-Jähriger war er in den Sommerferien zum ersten Mal hierhergekommen. »Damals mussten in den Schwulentreffs immer auch Frauen auf der Tanzfläche sein, für den Fall, dass die Polizei kam«, erzählt er. »Es war nicht erlaubt, dass Männer alleine miteinander tanzten.« Dennoch liebte der Junge die Atmosphäre der kleinen Hafenstadt. Er fühlte sich erstmals unter Gleichgesinnten nach einer Kindheit in der von ihm als spießig und engstirnig empfundenen Industriestadt Hartford.
1980 wagte Rene Leblanc den Sprung und zog ganz nach Provincetown. »Ich musste damals drei Jobs machen, um mir das Leben hier leisten zu können. Morgens habe ich in einem Motel die Zimmer sauber gemacht, tagsüber als Friseur gearbeitet und abends dann noch als Verkäufer. Aber wenn du es überhaupt geschafft hast, dich über Wasser zu halten, dann konntest du damals auch noch eine Nische finden.« Heute beschäftigt er selbst Aushilfskräfte. Dennoch spricht er sehnsüchtig über die alten Zeiten: »Es war eine ganz andere Szene damals. Früher saßen Rechtsanwälte mit Tellerwäschern oder Klempnern gemeinsam an einem Tisch. Das gibt es heute nicht mehr. Vorbei.« Warum? Er sagt nur ein Wort: »Geld.« Die Leute, die sich hier in den letzten Jahren ein Ferienhaus oder auch nur eine Zweitwohnung gekauft hätten, die seien reich. »Wirklich reich.« Inzwischen gebe es hier genau dieselben sozialen Schranken wie anderswo auch.
Vielleicht ist das so. Vielleicht ist die Entwicklung aber auch einfach unvermeidlich, wenn die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht mehr zusammenschweißt, weil die Minderheit selbst zur Mehrheit geworden ist. Falls wieder mehr junge Leute hierherkämen – würde sich die Stimmung dann nicht erneut verändern? Rene schüttelt den Kopf und lächelt wehmütig: »Sie kommen nicht. Sie können es sich nicht leisten.« Jüngere Schwule kämen mal für ein Wochenende oder höchstens für eine Woche, aber mehr sei einfach nicht drin. »Die Stadtgemeinschaft bekommt allmählich graue Haare.«
Die Preise sind explodiert in den letzten Jahren. 1990 zahlte Rene Leblanc für einen etwas kleineren Laden als seinen jetzigen in derselben Straße noch 15000 Dollar Miete jährlich – heute zahlt er 60000. Das Reihenhaus, das er gemeinsam mit seinem langjährigen Freund bewohnt, liegt weit außerhalb des Zentrums auf der anderen Seite der Inselhauptstraße. Vor sieben Jahren hat er den Neubau mit drei Schlafzimmern für 325000 Dollar gekauft. Vor einem Jahr ließ er das Haus schätzen: 490000 Dollar. Inzwischen sind die Preise zwar wegen der Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten wieder etwas gefallen – aber für Durchschnittsverdiener immer noch viel zu hoch. 2006 kostete ein Einfamilienhaus in einer US-Stadt nach Angaben des nationalen Maklerverbandes im landesweiten Mittel etwa 220000
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