Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
erstmals. Unumstritten ist nämlich, dass die Mayflower zunächst einmal an der äußersten Spitze von Cape Cod landete, einer Halbinsel, die heute vor allem als luxuriöses Ferienressort bekannt ist. Diese Gegend begeisterte die Passagiere jedoch aus verschiedenen Gründen nicht, weshalb sie eben zu der Bucht weitersegelten, an der heute Plymouth liegt.
Zeitgenössische Berichte der Pilger über den Findling gibt es nicht. Erst 1741 behauptete ein damals 94-jähriger Kirchenältester, sein Vater habe ihm diesen Felsen als Ort der Landung gezeigt. Der Vater war allerdings selbst nicht an Bord der Mayflower gewesen, sondern erst einige Jahre später in der Neuen Welt angekommen. Der Stein wurde dann zunächst einmal ins Zentrum von Plymouth gebracht – jedenfalls die eine Hälfte, denn er brach beim Transportversuch in zwei Teile. Später wurde er noch einige Male versetzt und allmählich immer kleiner und kleiner. Eine Folge des Beutehungers von Souvenirjägern. Angeblich hat der Stein heute nur noch etwa ein Drittel seiner ursprünglichen Größe. Um diese Reste besser bewachen zu können, wurde »Plymouth Rock« 1921 wieder an seinen ursprünglichen Fundort gebracht. Die Authentizität tritt also weit hinter die Symbolik zurück. Was die fast eine Million Besucher, die jährlich ehrfürchtig vor den Resten des Felsens stehen, wenig zu kümmern scheint. Geschichte: ein Spiel.
Überall. Auch bei uns in Deutschland gibt es Historienspektakel und Kostümfeste. Aber hier scheint sich im Herbst fast die gesamte Kleinstadt- und Landbevölkerung jedes Wochenende aufzumachen, um in die Rolle der Ahnen zu schlüpfen.Das Angebot ist riesig. Eines der mittelalterlichen Volksfeste – King Richard´s Faire – findet alljährlich im Städtchen Carver statt. Mit Ritterkämpfen, Gauklern, Minnesängern und Schauspielern. Erwachsene zahlen 25 Dollar Eintritt, Kinder 14. Und das ist erst der Anfang. Drinnen wird es dann richtig teuer. Zwei Dollar kostet es, wenn man einem Kleinkind den viermaligen Versuch ermöglichen will, eine niedrige Strickleiter hochzuklettern. Man kann sich auch die Zukunft vorhersagen lassen. Für 30 Dollar. Da muss man´s schon ziemlich dringend wissen wollen. Elfenflügel, Blumenkränze fürs Haar, Schwerter und Ritterrüstungen werden feilgeboten. Messerwerfen, Pfeilewerfen, Bogenschießen – alles kostet. Die Folge ist der übliche Familienstress: »Ich bin hier wegen der Shows und nicht wegen irgendwelcher verdammter Spiele. Weiter jetzt!«
Um sich über Anfahrtsweg, besondere Attraktionen und Öffnungszeiten vorab zu informieren, ist das Internet bekanntlich eine praktische Sache. Manchmal finden sich bei der Gelegenheit auch andere interessante Geschichten. Ein jüdischer Familienvater berichtet im Netz, ihm und seiner Familie sei die Bitte abgeschlagen worden, koscheres Essen mit auf das Gelände von King Richard´s Faire zu bringen – trotz des Hinweises, dass sie aus religiösen Gründen die zum Verkauf angebotenen Speisen nicht essen dürften. Begründung der Veranstalter: Falls während des Essens etwas passiere, könnten sie haftbar gemacht werden. Überall würden Spielzeugwaffen verkauft, entrüstet sich der Vater, »aber der Jahrmarkt kann nicht das Risiko eingehen, dass ich an meinem Corned Beef ersticke?« Es gehe wohl einfach darum, den Besuchern so viel Geld wie irgend möglich aus der Tasche zu ziehen.
Vermutlich. Aber dennoch drängen sich Tausende auf dem Gelände, fest entschlossen, sich den Spaß durch nichts und niemanden verderben zu lassen. Historienspiele sind ein starker Magnet – solange sie einen bestimmten Ausschnitt der Geschichte beleuchten. Indianerkriege spielen hier in Massachusetts seitens der Unterhaltungsindustrie eine so geringe Rolle, dass man annehmen könnte, es hätten gar keine stattgefunden. Als seien die Indianer nach vielen Jahren friedlichen Zusammenlebens mit den Siedlern zum wechselseitigen Nutzen freiwillig in die Reservate gezogen. Diese Annahme wäre falsch.
Der Aufstand zahlreicher Indianervölker im südlichen Neuengland gegen die Expansion der englischen Kolonisten 1675, der ein Jahr später mit einer Niederlage endete, gehört zu den blutigsten Auseinandersetzungen zwischen Ureinwohnern und Neuankömmlingen in Nordamerika. Zwar hatten auch die Siedler hohe Verluste erlitten – 13 Städte waren niedergebrannt worden und die Kolonien brauchten lange, um sich von den wirtschaftlichen Folgen des Krieges zu erholen –, aber die Konsequenzen
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