Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Dollar. Auch im Osten des Landes, der traditionell immer etwas teurer ist, waren es lediglich 280000 Dollar.
Provincetown ist eine gute Adresse, und es ist eine nette Vorstellung, hier leben zu dürfen, wenn man nicht mehr arbeiten muss. Deshalb planen viele wohlhabende Leute, hier ihren Lebensabend zu verbringen. Sie kaufen im Alter von 35 oder 40 Jahren ein Haus oder eine Wohnung, vermieten die Immobilie während der Sommermonate, zahlen damit ihre Hypothek ab und lassen sie den Rest des Jahres leer stehen. Die Folge: »Es herrscht dramatische Wohnungsnot für Leute, die dauerhaft hier leben wollen. Ich konnte mir mein Reihenhaus leisten, weil ich mir früher ein anderes Haus gekauft und dann später – teurer – verkauft habe, als die Preise immer noch erschwinglich waren«, erzählt der gelernte Friseur. »Heute hätte jemand mit meinem sozialen Hintergrund keine Chance mehr, sich hier niederzulassen.«
Eine ironische Wendung in der Geschichte von Provincetown. Leute wie Rene Leblanc sind es ja gerade, die das Gesicht der Stadt prägen. Er ist interessiert, witzig, großzügig. »Nein, die nächste Runde geht ganz sicher auf mich.« Es macht Spaß, mit ihm zu reden – und er hat Lust auf das, was Fremde ihm berichten können. Rene weiß viel von der Welt, obwohl er nie im Ausland gelebt hat. Man ahnt, warum: Ab und zu dreht er die Interviewsituation um. Was das eigentlich genau für ein Buch werden solle? Welches Bild die Deutschen von den Amerikanern denn so hätten? Ob George W. Bush dem Image der USA sehr geschadet habe? Er fragt gar nicht, was ich vom US-Präsidenten halte. Er setzt ganz einfach voraus, dass ich ihn genauso inkompetent und gefährlich finde wie er.
Jemand wie Rene Leblanc ist ein Glückstreffer für eine Reporterin. Nicht nur deshalb, weil er offen Auskunft gibt, sondern vor allem deshalb, weil er ihre Sache zu seiner eigenen macht und selbst ein Interesse daran entwickelt, dass der kleine Ausschnitt Provincetown in dem riesigen Bild USA möglichst umfassend und zutreffend beschrieben wird. Er weiß, wer wichtig ist in diesem Städtchen, und er ist gerne bereit, Kontakte zu vermitteln. »Mit Mary-Jo muss man reden. Unbedingt.«
Als ich Mary-Jo Avellar in ihrem Büro treffe, komme ich mir vor, als sei ich plötzlich in den Film Local Hero versetzt worden. Der spielt in einem schottischen Dörfchen und eine der Hauptfiguren hat vom Hotelbesitzer bis zum Rechtsanwalt nahezu alle wichtigen Funktionen gleichzeitig inne, die es in dem Ort gibt. In manchen Teilen der Welt ist das offenbar keine nette Filmpointe, sondern ein Abbild der Realität.
Am Vorabend hatte Mary-Jo mich als Empfangsdame im Restaurant platziert. Heute Abend wird sie als gewähltes Mitglied an einer Sitzung des Stadrats teilnehmen. Jetzt sitzt mir die energische, geschäftsmäßig-sachliche Frau als Immobilienmaklerin gegenüber. Ein kleines Schild weist darauf hin, dass sie auch noch als Notarin arbeitet. »Das ist aber eine weniger komplizierte Aufgabe als bei Ihnen in Deutschland«, sagt sie. Gut informiert ist sie auch noch.
Mary-Jo Avellar stammt aus einer portugiesischen Familie, die seit der Einwanderung nach Provincetown im 19. Jahrhundert hier lebt. Sie liebt die Stadt, sie liebt die Atmosphäre hier und sie lässt auf ihre Heimat nichts kommen. »Es stimmt, dass man in Iowa ein Herrenhaus kaufen kann für den Preis eines Apartments in Provincetown. Aber dann muss man auch in Iowa leben.« Provincetown sei schließlich nur drei Meilen lang und zwei Meilen breit und überaus attraktiv. Da sei es kein Wunder, dass die Nachfrage das Angebot übersteige.
Schon wahr, die Alteingesessenen zögen allmählich weg. »Traurig. Aber als meine portugiesischen Vorfahren hier ankamen, war die Gegend fest in der Hand der Yankees. Die fühlten sich von meinen Ahnen sicher auch bedroht. So ist halt der Lauf der Welt. Man kann nicht immer nur zurückschauen.« Pause. »Solange es Kinder gibt.«
Man gewinnt nicht den Eindruck, als sei die Pause um des Effektes willen gemacht worden – eher so, als sei ihr etwas herausgerutscht, was sie eigentlich nicht sagen wollte. Denn das ist eines der Probleme von Provincetown. Es gibt nicht mehr viele Kinder hier.
Man kann das statistisch belegen: Nur in neun Prozent der Haushalte leben Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren. Man kann es auch spüren: »Meine Stieftochter und ihre Familie mussten die Stadt verlassen. Als die Kinder kamen, wurde das Haus zu klein, und ein größeres
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