Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
ihre Überzeugung. »Wir haben das amerikanische Leben gelebt«, erzählt Jennifer. Sie habe einen College-Abschluss und in einer Werbeagentur gutes Geld verdient, Wade sei Koch gewesen. »Aber als wir merkten, was die neue Weltordnung wirklich bedeutet, da haben wir uns von Grund auf geändert. Wir sind ein bisschen radikal in unseren Ansichten. Aber wir haben Beweise.«
Beweise wofür? Für die Weltverschwörung. »Es sind nur 13 Familien, die die ganze Welt regieren. Geheimgesellschaften kontrollieren alles.« Nichts, was derzeit geschehe, geschehe zufällig. Es sei schon vor vielen hundert Jahren geplant und aufgeschrieben worden. »Auf geheimen Tafeln.« Die Terroristen würden von der Regierung in Washington finanziert. Die Anschläge vom 11. September seien ein »inside job«. Wenn der ganze Weltenlauf eine einzige Verschwörung ist – warum tarnen sich die Verschwörer dann nicht besser, sodass man eben keine Beweise findet? Natürlich ist meine Frage hilflos. Aber ich weiß nicht, wie ich anders reagieren soll als mit immanenter Logik. Jennifer hat allerdings auch darauf eine Antwort: »Es ist ihnen egal. Sie halten uns für eine Schafherde.«
Die Situation ist beklemmend. Nicht deshalb, weil das gastfreundliche Ehepaar lauter Dinge sagt, die ich für verrückt halte. Sondern weil beide dazwischen so vernünftig und bodenständig wirken. Die Unterhaltung ist eine Achterbahnfahrt für meinen Verstand.
2800 Dollar verdient Jennifer monatlich als Kellnerin, Trinkgelder eingeschlossen. Damit kommt die Familie gut aus – etwa 400 Dollar braucht sie jede Woche für Benzin, Lebensmittel, Zigaretten und Kleidung. Für den Platz im Wald verlangt die Grundstückseigentümerin nur einen nominalen Betrag als Standmiete. Wenn die Eisenbergers ungefähr 2000 Dollar in den alten Camper stecken, dann, so hoffen sie, können sie ihn für fast das Zehnfache verkaufen. Als Liebhaberobjekt. Ihrer Ansicht nach ist das eine Überlegung wert. Jennifer hätte gerne einen Wohnwagen mit Nasszelle und Toilette. Es stört sie, dass alle zum Duschen immer auf einen Trucker-Rastplatz fahren müssen.
Die Familie ist nicht krankenversichert. Aber das stellt in ihren Augen kein Problem dar. »Wir glauben nicht an Schulmedizin und Ärzte«, erklärt Wade. »Sie wollen nur Geld machen. Ich war schwer krebskrank. Riesige Tumore wuchsen aus meinem Gesicht. Ein Gesundheitstee, den ich regelmäßig getrunken habe, hat mich geheilt.« Ein Looping der Achterbahnfahrt.
Allmählich verstehe ich, warum sie nicht wollen, dass ihr Sohn eine öffentliche Schule besucht – und vielleicht ist der Hausunterricht für das Kind sogar tatsächlich besser. Es muss einen Neunjährigen überfordern, den geistigen Spagat zwischen dem Weltbild der Eltern und dem des Lehrerkollegiums auszuhalten. Eigentlich nicht nur einen Neunjährigen. Gesetzlich sind die Eltern auf der sicheren Seite. Die Vorschriften für Hausunterricht unterscheiden sich von Bundesstaat zu Bundesstaat. Natürlich haben sich Jennifer und Wade genau erkundigt und abgesichert. In Florida müssen sie nicht befürchten, mit den Behörden in Konflikt zu geraten. Die Regelungen lassen Eltern hier breiten Spielraum.
In Minnesota hingegen, wo die Familie vorher lebte, waren die Vorschriften für Hausunterricht sehr viel strenger. Tristan hat dort noch eine Schule besucht. Im Bus sei er von einem älteren Mitschüler auf obszöne Weise angegriffen worden. Die Schule habe dem tatenlos zugesehen. »Der andere Junge war ein Mexikaner, der mit seiner Familie illegal in den USA lebte. Deshalb wollten die Lehrer nicht, dass Ämter auf ihn aufmerksam werden.« Das war nicht der einzige Konflikt. Tristans Mutter und sein Vater wünschten auch nicht, dass er Aufklärungsunterricht bekam und die Evolutionstheorie erlernen musste. »Ich stamme nicht von Affen ab!«, sagt Jennifer empört. Sind sie eben doch einfach christliche Fundamentalisten? Nein. Wade holt eine Laser-Lampe und deutet damit auf das Sternbild von Orion. »Vermutlich stammen wir von dort.« Die Pyramiden seien jedenfalls nicht von Menschen gebaut worden, sondern von Außerirdischen. Doppelter Looping. Mir wird schwindelig.
Seit der Vater den Sohn unterrichtet, habe dieser viel gelernt. »Er hat ein Tipi gebaut und einen Damm. Er weiß jetzt so viel über Tiere und Pflanzen – er könnte in der Wildnis überleben«, erklärt der Lehrer stolz. Immerhin: Mit elf oder zwölf soll Tristan auf eine öffentliche Schule gehen. Falls es bis
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