Auf der Suche nach den ältesten Sternen (German Edition)
ansonsten kann man die r-Prozess-Sterne ohne Kohlenstoffüberhäufigkeiten nicht erklären.
Sterne mit großen Bleihäufigkeiten
Eine Untergruppe der s-Prozess-Sterne hat als Merkmal besonders hohe Bleihäufigkeiten. In metallarmen Sternen läuft der s-Prozess direkt bis zu Blei durch, so dass dieses Endprodukt in ungewöhnlich großen Mengen von mehr als der hundertfachen Eisenhäufigkeit erzeugt wird (siehe auch Kapitel 5). Diese bleireichen Sterne müssen sich allerdings in engen Doppelsternsystemen befinden, denn das Blei muss im s-Prozess des etwas massereicheren Begleitsterns synthetisiert worden sein. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde das s-prozessreiche Oberflächenmaterial dann an den anderen, masseärmeren Stern übertragen.
Diese Beispiele von Sterngruppen mit überhäufigen Elementen illustrieren die chemische Vielfalt des frühen Universums und das Zusammenspiel der vielen Nukleosyntheseprozesse. Bisher kennen wir meist nur wenige Exemplare jeder Gruppe, aber im Lauf der Zeit werden sicher noch weitere solcher Ausnahme-Sterne, aber auch neue chemische Gruppen entdeckt werden. Letztendlich helfen alle Sterne das riesige Puzzle zu lösen, wie die Nukleosynthese der chemischen Elemente und die Beobachtungen metallarmer Sterne miteinander in Einklang zu bringen sind. Diese Aufgabe wird die Astronomen noch eine ganze Weile beschäftigen. Hoffentlich können die Häufigkeitsmuster dann irgendwann alle genau ihren Nukleosyntheseprozessen und astrophysikalischen Entstehungsorten zugeordnet werden.
9.3. Die eisenärmsten Sterne
Die Sterne mit den geringsten Metallizitäten weisen die größte Vielfalt an ungewöhnlichen Elementhäufigkeiten auf. Die zwei eisenärmsten Sterne sind dabei die besten Beispiele. Aber zunächst sollte die Frage beantwortet werden, warum diese Sterne als die eisenärmsten und nicht als die metallärmsten bezeichnet werden. Dazu schauen wir uns HE 0107–5240 und HE 1327–2326 etwas genauer an.
HE 0107–5240 ist ein Roter Riesenstern mit einer Eisenhäufigkeit von [Fe/H] = –5,2, was einem 1/150 000stel der solaren Eisenhäufigkeit entspricht. HE 1327–2326 hat hingegen die Hauptreihe gerade erst verlassen und befindet sich in seiner Entwicklung noch in der Nähe des Turn-off-Punktes. Er hat eine Eisenhäufigkeit von [Fe/H] = –5,4, also nur ein 1/250000stel der Eisenhäufigkeit der Sonne. In der Atmosphäre von HE 1327–2326 kommen so auf jedes Eisenatom mehr als zehn Milliarden Wasserstoffatome. Insgesamt enthält dieser Stern damit insgesamt hundertmal weniger Eisen als der Eisenkern im Inneren der Erde. Das ist ziemlich wenig angesichts dessen, dass der Stern ja etwa 300 000 Mal schwerer als die Erde ist.
Geht man wie üblich davon aus, dass die Eisenhäufigkeit mit der Metallizität eines Sterns gleichzusetzen ist, müssten diese beiden Sterne die bei weitem metallärmsten sein. Was wir aber durch die Entdeckungen dieser Sterne gelernt haben, ist, dass die meisten Elemente in diesen Sternen nicht dem Eisen folgen: Tatsächlich zeigen die beiden eisenärmsten Sterne die größten bisher gemessenen Verhältnisse von Kohlenstoff-, Stickstoff- und Sauerstoff-zu-Eisen sowie relativ große Werte für Natrium-, Magnesium-, Kalzium- und Titan-zu-Eisen. Wenn man also die Häufigkeiten aller Elemente zusammenzählt, werden diese beiden Sterne zur Ausnahme der Regel: Sie sind im Schnitt wesentlich metallreicher als die Metallizität, die die Eisenhäufigkeit vorschlägt. Die generelle Regel »Eisenhäufigkeit = Metallizität« bricht hier also zusammen. Bisher ist dieser Fall aber nur bei Sternen mit [Fe/H] < –5,0 so deutlich aufgetreten. Der weiteren Entdeckung von Sternen mit [Fe/H] < –5,0 wird deshalb schon entgegengefiebert, denn die Antwort auf die Frage, ob ihre Eisenhäufigkeit auch die Gesamtmetallizität widerspiegeln wird, ist für unser Verständnis der Entstehung der ersten massearmen Sterne im Universum von weitreichender Bedeutung.
Diese enormen Überhäufigkeiten von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff sollten aber noch etwas näher betrachtet werden. Der Einfachheit halber benutzen wir die Werte von HE 1327–2326, die noch etwas ausgeprägter als die von HE 0107–5240 sind. HE 1327–2326 hat etwa 2500 Mal mehr Kohlenstoff als Eisen und 5600 Mal mehr Stickstoff als Eisen. Sauerstoff existiert immerhin noch 630 Mal häufiger. Der Ursprung dieser Überhäufigkeiten ist immer noch nicht eindeutig verstanden. Dennoch liefern Modelle zur Sternentwicklung
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