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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Bedeutung hinzu, die nur mir gehören. Wenn an Sommerabenden der harmonische Himmel grollt wie ein wildes Tier und alle anderen dem nahen Gewitter gram sind, dann verdanke ich es der Gegend von Méséglise, wenn ich allein in Ekstase verharre, um beim Rauschen des niedergehenden Regens den Duft von unsichtbarem, beständigem Flieder einzuatmen.

    So dachte ich oft bis zum Morgen an die Zeiten von Combray zurück, an meine traurigen schlaflosen Abende, an viele Tage auch, deren Bild mir viel später erst durch den Geschmack – das »Aroma« hätte man in Combray gesagt – einer Tasse Tee wiedergeschenkt worden war, und durch Erinnerungsassoziationen schließlich auch daran, was ich viele Jahre nachVerlassen dieses Städtchens über eine Liebesaffäre Swanns erfahren hatte, die sich vor der Zeit meiner Geburt abspielte, und zwar mit einer Genauigkeit in den Details, wie sie manchmal im Hinblick auf seit Jahrhunderten verstorbene Personen leichter zu erreichen ist als in dem auf das Leben unserer besten Freunde und die ganz und gar unmöglich erscheint, so wie es als unmöglich galt, von einer Stadt zur anderen zu sprechen, bis man den Trick fand, durch den diese Schwierigkeit überwunden wurde. Alle diese aneinandergefügten Erinnerungen bildeten eine Art Masse, dennoch gab es zwischen den älteren und den neueren, solchen, die aus einem Aroma aufgestiegen und solchen, die eigentlich Erinnerungen anderer Menschen waren, von denen ich sie erst übernahm, wenn nicht gerade Risse oder richtige Brüche, so doch kleine Spalten oder wenigstens Äderungen und farbliche Unterschiede, wie sie bei manchen Gesteinsbildungen, besonders den Marmorarten, auf die Verschiedenheit des Ursprungs, des Alters oder der »Formation« 1 zurückzuführen sind.
    Gewiß, wenn der Morgen nahte, war lange schon die kurze Unsicherheit des Erwachens verflogen. Ich wußte, in welchem Zimmer ich mich befand, ich hatte es um mich her in der Dunkelheit wieder aufgebaut, und zwar – sei es einzig aufgrund meiner Erinnerung oder unter Zuhilfenahme eines schwachen Lichtscheins, unter dem ich die Fenstervorhänge vermutete mit allen Einzelheiten; ich hatte es ausgestattet wie ein Innenarchitekt oder ein Dekorateur, der Fenster und Türen an ihren ursprünglichen Stellen beläßt, ich hatte die Spiegel und die Kommode an ihren richtigen Platz gerückt. Kaum aber zeichnete das Tageslicht – und nicht mehr der Widerschein einer letzten Kaminglut auf einer Kupferstange, den ich dafür gehalten hatte – in die Dunkelheit wie mit Kreide einen ersten weißen, berichtigendenStrich, als Fenster und Vorhänge den Türrahmen verließen, in die ich sie versehentlich eingesetzt hatte, während gleichzeitig der Schreibtisch da, wo mein Gedächtnis ihn fälschlich hingestellt hatte, schleunigst das Weite suchte, wobei er den Kamin vor sich herschob und die Zwischenwand zum Korridor hin zerteilte; ein kleiner Durchgang nahm die Stelle ein, wo eben noch der Waschraum war, und die Wohnung, die ich im Dunkeln um mich aufgebaut hatte, gesellte sich zu den vielen anderen, die ich im wirren Zustand des Erwachens undeutlich vor mir sah, in die Flucht geschlagen durch jenes bleiche Mal, das der Tag mit erhobenem Finger über die Vorhänge schrieb.

ZWEITER TEIL

EINE LIEBE SWANNS
    Um zum »kleinen Kreis«, der »kleinen Gruppe«, dem »kleinen Clan« der Verdurins 1 zu gehören, genügte eine, freilich unerläßliche Bedingung: man hatte stillschweigend ein Credo zu übernehmen, zu dessen Glaubenssätzen gehörte, daß der junge Pianist, den Madame Verdurin in jenem Jahr protegierte und von dem sie zu sagen pflegte: »Es sollte wirklich nicht erlaubt sein, daß jemand so Wagner spielen kann!«, sowohl Planté wie Rubinstein »aussteche« und daß Doktor Cottard als Diagnostiker besser als Potain sei. 2 Jede »Neuerwerbung«, die die Verdurins nicht davon überzeugen konnten, daß die Abendgesellschaften der Leute, die nicht bei ihnen verkehrten, todlangweilig seien, sah sich gleich wieder ausgeschlossen. Da sich die Frauen mehr als die Männer widerspenstig zeigten, jede gesellschaftliche Neugier und das Bedürfnis nach eigener Urteilsbildung über die Annehmlichkeiten der anderen Salons abzulegen, und da die Verdurins außerdem spürten, daß dieser Forscherdrang und diese frivole Besessenheit sich auf die anderen übertragen und so auf die Orthodoxie der kleinen Gemeinde verhängnisvoll auswirken könnten, hatten sie sich schließlich gezwungen gesehen, nacheinander alle

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