Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
kein Paradies für Kuhhirten, nicht einmal in den Augen der Griechen. Die Hochebene der Murge in Apulien eignet sich nicht für die Rinderzucht, weil kein Gewässer sie durchzieht. Italien muss mehr als die Hälfte seiner Milch importieren, und wenn wir Süditalien heute mit Rindern in Verbindung bringen, dann mit den Wasserbüffeln, aus deren Milch der weiche weiße Büffelkäse, die mozzarella di bùfala , hergestellt wird. Aber die Büffel sind asiatischen Ursprungs; sie wurden im frühen Mittelalter eingeführt, um Pflüge zu ziehen. Später verwilderten sie und durchstreiften Kampanien und die Pontinischen Sümpfe, bis sie im 18. Jahrhundert erneut domestiziert wurden. Als Zugtiere, nicht für die Milch- und Fleischproduktion eingesetzt, wären diese Herden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast ausgestorben. Die Mozzarella, die aus ihrer Milch hergestellt wird, wurde erst in den 1980er Jahren bekannt und beliebt.
Im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde nur die kalabrische Spitze des italienischen Stiefels, wo das Volk der Bruttier lebte, Italia genannt, später kamen Lukanien und Kampanien hinzu und noch später auch weiter nördlich gelegene Gebiete: die römischen Eroberungen auf der Halbinsel. Die griechischen Geschichtsschreiber Herodot und Thukydides betrachteten das Land jenseits des Po nicht als Teil Italiens. Tatsächlich gehört die Poebene geographisch zur kontinentalen Landmasse, nicht zur italienischen Halbinsel. Als die Römer diekeltischen Stämme in der Poebene unterwarfen und bis zum südlichen Alpenrand vordrangen, wurde auch dieses Gebiet Italia genannt. Der griechische Historiker Polybios meinte im 2. Jahrhundert v. Chr., fast das gesamte heutige Italien werde Italia genannt, auch wenn die römischen Dichter späterer Jahrhunderte andere Namen verwendeten: Hesperia, Ausonia, Saturnia terra und (passend für den heute weltweit größten Weinproduzenten) Oenotria, Land des Weins.
Der vorrückenden römischen Eroberung stand allerdings ein großes Hindernis entgegen. Im Jahr 91 v. Chr. erhoben sich einige römische socii (unterworfene Bundesgenossen) des Zentralapennin gegen Rom und gründeten einen eigenen Staat (Italia) mit der Hauptstadt Corfinium (später in Italica umbenannt), der von Prätoren, einem Senat und zwei Konsuln geleitet wurde. Die Aufständischen prägten sogar eigene Münzen mit dem italischen Stier, der die römische Wölfin auf seine Hörner nimmt. Doch im sogenannten Bundesgenossenkrieg wurden sie von den Römern mit einer Taktik aus Zuckerbrot und Peitsche besiegt, und in den nachfolgenden Jahrhunderten gab es keinen weiteren Versuch mehr, unter dem Namen Italia einen Staat zu gründen.
100 Jahre nach diesem Krieg teilte der erste römische Alleinherrscher Augustus dieses ältere Italia in elf große Verwaltungsbezirke (regiones) auf. Nur die Halbinsel Istrien, die dem Bezirk Venetien angegliedert wurde, gehört heute nicht mehr zum Staat Italien. 1 Später erweiterte Kaiser Diokletian Italia um Sizilien, Sardinien, Korsika und Rätien (dies sind Teile der heutigen Schweiz, Bayerns und Tirols).
Das Italien unter Augustus, das Vergil und andere Dichter jener Zeit besangen, blieb das ganze Mittelalter hindurch ein Quell literarischer Inspiration. Petrarca spricht von dem »schönen Land, das der Apennin teilt und das Meer und die Alpen umringen«. *2 Doch bis Ende des 18. Jahrhunderts blieb es eine literarische Idee, eine abstrakte Vorstellung, eine imaginäre Heimat oder auch nur ein sentimentaler Wunschtraum. Wenn einige bisweilen diesen Traum beschworen, um der Verbitterung über eine Fremdherrschaft Ausdruck zu verleihen, so waren dennoch Unabhängigkeit und Einheit nicht die angestrebten politischen Ziele. Und für die große Mehrheit der Bevölkerung blieb der Name bedeutungslos. Noch 1861, zur Zeit der Einigung, glaubten manche Sizilianer, L’Italia – oder La Talia – sei ihre neue Königin. Und weitere 100 Jahre später begegnete der Sozialreformer Danilo Dolci Sizilianern, die noch nie von Italien gehört hatten und wissen wollten, was das sei. *3
Die Geographie Italiens, wie wir sie aus Schulbüchern und Atlanten kennen, lässt uns glauben, das Land sei durch seine Lage in ganz besonderer Weise begünstigt. Der Revolutionär und Patriot Giuseppe Mazzini meinte, Gott habe den Italienern »das am klarsten umrissene Vaterland Europas gegeben«. *4 Im Zentrum des Mittelmeers gelegen, sei es im Norden durch den Wall der Alpen und auf allen anderen Seiten durch
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