Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
das Meer geschützt.
In Wirklichkeit hat Italien eine ausgesprochen ungünstige Lage, und es gehörte immer zu den am leichtesten angreifbaren und am häufigsten überfallenen Gegenden der Welt. Die Alpen wirken zwar imposant, aber sie wurden seit der Bronzezeit immer wieder mühelos überwunden. Im 12. Jahrhundert v. Chr. brachten Kaufleute Bernstein von der Ostsee über die Alpen nach Etrurien und Sardinien. In römischer Zeit wurden 17 der 23 Alpenpässe genutzt. Nur wenige Gebirgswälle wurden im Lauf der Jahrhunderte so oft erfolgreich überwunden. Hannibal führte seine karthagische Armee über die Westalpen, Alarichs Goten und Attilas Hunnen kamen von Osten über die niedrigeren Julischen und Karnischen Alpen. Im Jahr 1796 durchquerte Bonaparte, damals noch General, die Voralpen zwischen Nizza und Genua und brüstete sich gegenüber seinen Soldaten: »Annibale a forcé les Alpes – nous, nous les avons tournées« , Hannibal hat die Alpen bezwungen, wir haben sie umgangen. Doch vier Jahre später, nunmehr Erster Konsul, drang er über fünf weiter nördlich gelegene Pässe nach Italien vor. Später ließ er sich auf einem weißen Streitross malen, wie er den Großen Sankt-Bernhard-Pass im Schnee überquert. In Wirklichkeit wurde er auf einem kleinen grauen Maultier hinübergeführt.
Viele Angreifer sind dem Beispiel dieser Invasoren gefolgt. Nachdem sie die Alpenpässe überwunden hatten, lag die Poebene vor ihnen: flaches, einladendes Gelände, das schwer zu verteidigen war. Im Westen allerdings wurden sie von den Zuflüssen des Po behindert, die von den Seen im Norden herunterströmten. Mailand war mühelos einzunehmen, ebenso die anderen »Einfallstore« nach Italien: Turin und Verona. Auch deshalb hatte das Oströmische Reich (Byzanz) 1000 Jahre länger Bestand als der Westen des alten Imperiums: Es war sehr viel leichter zu verteidigen. Die Goten und Hunnen zogen zwar plündernd durch den Balkan, aber vor Konstantinopel geboten ihnen die gewaltigen Landmauern Einhalt, und der Weg durch den Bosporus und damit nach Kleinasien war ihnen durch eine Flotte verwehrt. Eine ähnliche Großtat vollbrachten die Byzantiner in umgekehrter Richtung, als sie im 7. Jahrhundert den Ansturm der Araber abwehrten und verhindern konnten, dass diese weiter nach Osteuropa und im Westen nach Italien vordrangen. Rom wurde nicht islamisiert. 100 Jahre vor Karl dem Großen wurde also das militärisch noch schwache Abendland durch Byzanz gerettet.Sein Aufstieg zur beherrschenden Macht wurde dadurch überhaupt erst möglich. Neben der französischen Riviera war nur die italienische Mittelmeerküste nie muslimisch (mit Bari als einziger Ausnahme).
Vom Meer her war Italien noch leichter anzugreifen als über die Berge. Mit insgesamt 7375 Kilometer Küstenlänge sind die Halbinsel und ihre Inseln kaum zu kontrollieren und können von drei Kontinenten her überfallen werden.
Schiffe sind das älteste Verkehrsmittel des Menschen, und um 500 v. Chr. waren diese Schiffe schon so stabil, dass man lange Seereisen unternehmen konnte. Herodot notierte im 5. Jahrhundert v. Chr., ein Schiff könne in 24 Stunden 120 Kilometer zurücklegen – diese Angaben belegen, dass Invasoren von der albanischen Küste die 70 Kilometer breite Straße von Otranto im Sommer bei Tageslicht überwinden konnten. Von der Adria her musste man also stets mit Überfällen rechnen. Die Ostküste mit ihren wichtigen Häfen musste ebenso überwacht werden wie die Insel Korfu am Eingang zur Straße von Otranto. Venedig hätte nie den Anspruch auf den Titel einer Königin (oder Braut) der Adria, eines »Löwen des Meeres« und schon gar nicht auf den Beinamen Serenissima (die Durchlauchtigste) erheben können, wenn es nicht immer wieder die dalmatinische Stadt Zara (heute Zadar) angegriffen hätte, wenn Triest zu einem ernsthaften Rivalen aufgestiegen oder Ragusa, das spätere Dubrovnik, als Seemacht genauso stark geworden wäre wie als Wirtschaftsmacht. In ihrer glanzvollsten Epoche musste sich die Republik Venedig einen sicheren Schutzraum an der Adria schaffen, weil auch die Bevölkerung an den Küsten größtenteils nichtitalienisch war. Kein Wunder, dass Kartographen die Adria oft kurzerhand mit dem Golf von Venedig gleichsetzten.
Die Inseln waren noch angreifbarer als die Küsten des Festlands. Elba wurde trotz seiner Nähe zur Toskana im 16. Jahrhundert von Eindringlingen aus Afrika, den Berber-Korsaren, so oft überfallen, dass die Bewohner ihre angestammten
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