Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
Siedlungen an der Küste verließen und sich in die Berge zurückzogen. Dieselbe Bedrohung führte zur Entvölkerung der Küsten Sardiniens: Festungen und Wachttürme konnten die Plünderer auf der Jagd nach Sklaven nicht abschrecken. Für Phönizier, Karthager, Römer, Vandalen, Byzantiner, Araber und Aragonesen, aber auch für Kolonisten, die in erster Linie am Handel interessiert waren, wie Pisaner und Genuesen, war die Insel leichte Beute. Sizilien hatte ein ähnliches Problem. Aufgrund seiner geographischen Lage waren die Bewohner der Insel seit 5000 Jahren nie Herr ihres Schicksals. Der Sieg der Syrakuser über die Athener im Peloponnesischen Krieg (5. Jahrhundert v. Chr.) war der letzte erfolgreiche Widerstand der Insel gegeneinen gefährlichen Eindringling. Danach war Sizilien einerseits zu klein und zu schwach, um sich zur Wehr zu setzen, und andererseits zu groß, strategisch viel zu wichtig und bis ins späte Mittelalter hinein zu fruchtbar, um von Invasionen verschont zu bleiben. Für jede dominierende Macht im westlichen Mittelmeer war es daher eine verlockende Beute.
Das Schicksal Siziliens spiegelte sich, wenn auch in weniger konzentrierter und durchgängiger Weise, im Schicksal ganz Italiens. Bis zum Beginn der Großmachtdiplomatie Mitte des 19. Jahrhunderts war Italiens geographische Lage schuld daran, dass es im Lauf seiner Geschichte nur die Wahl hatte, entweder andere Völker selbst zu erobern oder von ihnen beherrscht zu werden. Es konnte entweder eine Weltmacht oder eine Kolonie sein, aber kein Nationalstaat. Aufschlussreich ist ein Vergleich mit England, das durch seine Meere und seine Seestreitmacht geschützt war. Die Normannen eroberten 1060 Sizilien und 1066 England. Hier wie dort gründeten sie blühende Königreiche, nur in Sizilien herrschte weitaus größerer Wohlstand. In den nachfolgenden 1000 Jahren setzten mehrere Thronprätendenten über den Ärmelkanal und griffen nach der englischen Krone, aber die Invasion Englands gelang nur einer einzigen fremden Macht: den Niederländern im Jahr 1688. Hier handelte es sich allerdings weder um eine vollständig fremde noch um eine typische Invasion, denn Wilhelm von Oranien war von mächtigen englischen Politikern aufgefordert worden, den unpopulären Jakob II. (seinen Onkel und Schwiegervater) zu stürzen. Innerhalb dieser 900 Jahre wurde Italien vom Haus Anjou und vom Haus Aragón, von den Deutschen (mehrmals), den Franzosen (oft), Spaniern, Türken (für kurze Zeit), Österreichern (häufig), Russen, Briten und Amerikanern eingenommen. 2 Aber kein einziger Eroberer beherrschte die gesamte italienische Halbinsel.
Wirtschaftlich wie militärisch bietet die Nordsee für England klare Vorteile. Die Vorzüge des Mittelmeers für Italien sind weniger offenkundig, denn Land und Wasser stehen in einem komplizierten Verhältnis. Trotz seiner langen Küstenlinie hat Italien mit Genua, La Spezia und Neapel am Tyrrhenischen, Tarent am Ionischen sowie Ancona, Brindisi und Venedig am Adriatischen Meer relativ wenige gute Häfen. Amalfi, das im 9. Jahrhundert zur Seemacht aufstieg, verfügt nur über einen sehr kurzen Küstenstreifen und hat keinen ausgebauten Hafen. Als Republik überlebte es vor allem, weil es arabischenAngreifern half, andere Abschnitte der italienischen Küste zu überfallen. 3 Doch es verfügte über den kampanischen Hanf und Flachs, die für Schiffstaue benötigt wurden, und über Wälder, die das Holz für den Schiffbau lieferten. Der Mangel an Holz in weiten Teilen der übrigen Halbinsel verhinderte jedoch den Aufbau großer Seeflotten. Vor allem in der Toskana und auf der Halbinsel Gargano gab es zwar ausgedehnte Wälder in Meeresnähe, aber wenn sie einmal abgeholzt waren und die dünne Humusschicht weggeschwemmt war, konnten sie sich im mediterranen Klima nicht mehr richtig regenerieren. Dies galt ganz besonders im Süden, wo zwischen den Setzlingen Ziegenherden nach Futter suchten. Ein Großteil der sardischen Küstengebiete überzog sich daher mit Macchia, aromatisch duftenden, niedrigen mediterranen Sträuchern, die den Sinnen und der Seele guttun, aber weder den Wohlstand fördern noch dem Ökosystem nützen.
Reichlich Holz gab es auf der italienischen Halbinsel nur in der Antike, als man erst anfing, die Wälder abzuholzen. Später reichten die Holzbestände nicht mehr aus, um mit den atlantischen Hochseeflotten Englands und der Niederlande zu konkurrieren, weil diese auf die Wälder im Ostseeraum zurückgreifen
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