Auf die feine Art
einen Menschen identifizieren, den er aus hundert Meter Entfernung gesehen hat? Wohl kaum. Bei dem Nebel hat der alte Gassigeher sowieso nichts gesehen.«
»Woher weißt du, dass mein Zeuge ein älterer Mann ist und einen Hund hat?« Ich umklammerte den Riemen meines Rucksacks. Hellström war mir zum ersten Mal in die Falle gegangen, und ich hatte seinen Lapsus auf Band.
»Mann oder Frau, was spielt das für eine Rolle. Mit derart vagen Aussagen kommst du vor Gericht nicht durch.«
»Es gibt noch mehr Beweise, zum Beispiel Sannas Magisterarbeit. In einem Gedicht von Sylvia Plath, das Sanna gründlich analysiert hat, heißt die zentrale Gestalt Herr Doktor, Herr Enemy. Wie ich und E. hat Sanna an den Rand geschrieben. E. wie Erik. Wenn man Sannas Analyse richtig liest, findet man darin ihre Beziehung zu dir beschrieben. Deshalb hat sie das Gedicht auf ihren Schreibtisch gelegt, an ihrem dreißigsten Geburtstag, der ihr Todestag wurde. Sie wollte keineswegs ihren Selbstmord ankündigen, im Gegenteil, für sie markierte dieses Gedicht den Beginn eines neuen Lebens.«
»Weibergeschwätz«, schnaubte Hellström abfällig, als wäre ich eine eingebildete Kranke, die davon überzeugt ist, an Gebärmutterkrebs zu leiden. »Woher hätte Armi das alles denn wissen sollen? Und warum hätte sie bis jetzt geschwiegen?«
»Armi hat die Medikamentenvorräte und die Rezeptkopien überprüft und einfach zwei und zwei zusammengezählt. Sie wusste von dem Verhältnis zwischen dir und Sanna, hat Annamari gegenüber sogar Andeutungen gemacht, aber Annamari wollte ihr natürlich nicht glauben. Armi hat ja zu gern Informationen gehortet. Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen, sie preiszugeben. Warum, das weißt du wahrscheinlich besser als ich.«
Ich starrte in Erik Hellströms braune Augen. Heute saßen wir nicht in seiner Praxis, heute stellte ich die Diagnose. Endlich hatte ich alle Symptome erkannt.
»Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass Armi an ihrem Todestag etwas ganz Wichtiges erfahren hat, und zwar von Teemu Laaksonen. Er hat ihr noch einmal erzählt, wie der Fahrer des Unfallwagens aussah. Armi war unvorsichtig. Als Teemu gegangen war, hat sie dich angerufen und gesagt, jetzt wäre sie sich ihrer Sache sicher. Wenn sie geredet hätte, wärst du erledigt gewesen. Also bist du zu ihr gerast, hast vergeblich versucht, sie zu überreden, und sie schließlich erwürgt. Du hattest zufällig Einmalhandschuhe in der Tasche – vielleicht trägt ein richtiger Arzt so etwas immer bei sich. Die sind inzwischen natürlich längst verbrannt oder vermodern auf der Müllkippe. Du hast Glück gehabt, dass dich niemand gesehen hat.«
»Und damit willst du zur Polizei gehen? Was du dir da zusammenspinnst, glaubt dir sowieso keiner. Wenn die Polizei Marja Laaksonens Abschiedsbrief findet, wird man ja wohl davon ausgehen, dass sie die Täterin ist …«
»Hat sie dir heute erzählt, dass sie Teemu verdächtigt? Und du hast sie in ihrem Verdacht bestätigt?«
Hellströms Miene verriet mir, dass ich richtig geraten hatte.
»Du hättest ihr noch eine Schachtel Beruhigungsmittel mitgeben sollen. Zum Teufel nochmal, genau das hast du getan, stimmt’s? Aber, werter Herr Doktor, die Polizei wird den Brief nicht finden. Ich habe ihn eingesteckt …«
Sein Blick wurde fahrig, gleich würde er sich auf mich stürzen.
»Halt, lass mich ausreden! Der Brief ist an einem sicheren Ort verwahrt«, log ich. »Und natürlich verrate ich dir nicht, wo ich ihn deponiert habe. Es liegt also in deinem Interesse, dass ich am Leben bleibe. Du überlegst dir doch die ganze Zeit, wie du mich ausschalten kannst.«
Hellström ließ seine Zigarette einfach fallen, als merkte er gar nicht, was er tat. Er verlor zusehends die Beherrschung, wie bei Armi und Sanna. Wann würde er angreifen? Meine alte Dienstwaffe wäre mir jetzt sehr gelegen gewesen.
»Kommissar Ström ist nicht dumm. Wenn er meine Geschichte hört und die entsprechenden Zeugen befragt, bist du dran. Im Übrigen nehme ich an, dass Mallu am Leben bleibt, so stark ist Oxepam nicht. Als ich in ihre Wohnung kam, hatte sie offenbar gerade erst das Bewusstsein verloren. Eine kleine Magenspülung, und sie ist wieder auf dem Damm. Und wenn Mallu erzählt, dass sie sich das Leben nehmen wollte, weil sie Teemu für den Täter hielt, dann hast du ausgespielt.«
Hellström zündete mechanisch die nächste Zigarette an. Das Zimmer war völlig verqualmt, der Rauch drang mir in die Lungen und setzte
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