Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Entferntesten bei irgendetwas unterlegen zu erscheinen. Das ist auch bei vielen Psychopathen so, besonders bei den wirklich stark ausgeprägten.
Nathan und Richard gehörten zu den eher stark ausgeprägten Psychopathen: Sie überschätzten sich maßlos, indem sie glaubten, »Übermenschen« zu sein. Es fiel ihnen leicht zu lügen, vor anderen zu schauspielern, sich gekonnt auszudrücken und somit andere zu beeinflussen. Ihre Gefühle waren offensichtlich vollkommen oberflächlich, falls überhaupt vorhanden. Mitgefühl, Schuldgefühl, Angst waren ihnen völlig fremd. Daher suchten sie die typisch psychopathischen Kicks und begingen sogar nur um dieser Kicks willen Diebstähle. Verantwortung für das, was sie taten, übernahmen sie natürlich nicht. Nathan selbst drückte dieses »Recht« des »Übermenschen« mit den Worten aus: »Er ist nicht haftbar, egal was er tun mag.«
Als »Übermenschen«, die sie gerne sein wollten, konnten die jungen Männer einfach keinen Erpresserbrief schreiben, der »unter ihrem Niveau« gewesen wäre. Schließlich war es für sie völlig selbstverständlich, sich durchdacht und sprachgewandt auszudrücken. Außerdem hatten das Vortäuschen einer Entführung und die Erpressung hauptsächlich den Zweck, Kontrolle über die Familie des Ermordeten auszuüben. Nathan und Richard wollten mit dieser ganzen Inszenierung die Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen von Roberts Eltern lenken, was ihnen auch gelang.
Dazu gehörte auch, dass sie in den Eltern ein gewisses »Bild« von dem oder den Entführern erzeugten. Nathan und Robert wären nie auf die Idee gekommen, durch ihren Brief das Bild eines ungebildeten Kleinganoven zu vermitteln. Solch ein Täter war in ihrer Vorstellung denkbar weit entfernt von einem »Übermenschen«. Roberts Eltern sollten durch den Brief das Gefühl haben, dass ihr Sohn von einem Furcht einflößenden, weil intelligenten und kultivierten Verbrecher, entführt worden war. Nathan und Richard konnten ihrem Bedürfnis nicht widerstehen, den Erpresserbrief zu einem Selbstporträt ihrer Persönlichkeit zu machen.
Nicht nur der Inhalt, auch die Form zählt
Jeder Mensch lügt.
(Gregory House in der Serie »Dr. House«)
Wie ich schon früher erwähnte: Nicht nur was Menschen mitteilen, sondern auch wie sie es mitteilen, birgt sehr viele Informationen; oft mehr, als die meisten wissen. Ein Beispiel hierfür war ein Fall, an dem ich als Beraterin mitarbeitete. Ein Mann behauptete seiner Familie und seinen Freunden gegenüber, von einer Bekannten bedrängt zu werden und sogar Drohbriefe zu erhalten. Er wollte dies angeblich beweisen und dann mithilfe von Fachleuten herausfinden, wie er und seine Familie am besten damit umgehen könnten. Es hätte eine Geschichte wie viele andere sein können, aber irgendetwas kam mir daran komisch vor. In solchen Fällen neige ich dazu, wenn es möglich ist, Behauptungen zu prüfen, bevor ich sie glaube.
Dafür suche ich – wenn ich die Zeit habe – nach möglichst objektiven Informationen. Das ist im Internetzeitalter oft einfach. Dort schaute ich also, was über den Mann und die angeblich beteiligte Frau zu finden war. Solche Informationen können zwar auch unrichtig sein, aber manchmal liefern sie Hinweise für weitere Überlegungen. Die Namen der Beteiligten gab ich erst einmal bei »Facebook« ein. Tatsächlich waren beide dort mit echtem Namen registriert.
Dass es sich um die richtigen Personen handelte, erkannte ich an den Fotos auf ihren Seiten. Dabei stellte ich zunächst einmal fest, dass einiges, was der Mann über die besagte Frau erzählt hatte, nicht recht ins Bild passte. So hatte er beispielsweise mit keinem Wort erwähnt, dass sie anscheinend seit mehreren Jahren einen festen Partner hatte, wie man durch verschiedene Hinweise auf ihrer Seite eindeutig erkennen konnte.
Mir fiel aber noch etwas wesentlich Interessanteres auf: Auf der Facebookseite des Mannes fanden sich in den von ihm selbst verfassten Einträgen immer wieder ein paar orthografische Fehler. Das ist sicher nicht grundsätzlich ungewöhnlich; jeder Mensch macht mal Rechtschreibfehler. Doch wenn sie bei jemandem häufiger vorkommen als bei anderen Menschen, dann lässt sich darin öfter eine mehr oder weniger ausgeprägte »Logik« erkennen.
Dies fiel mir zufällig durch meinen Interviewpartner Christian auf, der Legastheniker ist. Ich kenne ihn schon länger als Privatmensch und bemerkte, dass hinter seinen Rechtschreibfehlern gewisse
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