Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Onkel berichtete aufgelöst, es handele sich bei der gefundenen Leiche tatsächlich um Robert.
Nun wussten die Beteiligten, dass der Junge tot war. Doch davon wussten wiederum Nathan und Richard noch nichts. Das angekündigte Taxi kam zum Haus von Roberts Familie, der Fahrer hatte allerdings auch keine Anweisung erhalten, zu welcher Adresse er von dort aus fahren sollte. Da auch Ettelson und Roberts Vater die Adresse nicht erinnerten, mussten sie das Taxi fortschicken. Nathan und Robert jedoch hatten geplant, Roberts Vater im Drugstore anzurufen und ihm weitere Anweisungen zu geben. Als sie dies nun taten und einen »Mr. Franks« sprechen wollten, wusste der Ladenbesitzer nicht, wovon sie redeten. In dem Laden war kein »Mr. Franks«. Das war der erste Moment, in dem der Plan der kriminellen Jurastudenten auch für sie offensichtlich nicht mehr wie erhofft aufging. Sie riefen einige Zeit später nochmals in dem Laden an, mit dem gleichen Ergebnis.
Die Nachricht, der Millionärssohn sei ermordet worden, verbreitete sich schnell. Roberts Familie, die Polizei von Chicago und zwei große Zeitungen der Stadt begannen zusammenzuarbeiten. Gemeinsam wurde eine Belohnung von 11000 Dollar ausgesetzt für Hinweise, die zur Ergreifung des oder der Täter führen würden. Nathan und Richard merkten, dass sie die Kontrolle über die Sache verloren. Sie zerstörten daraufhin sofort die Schreibmaschine, mit der sie den Erpresserbrief getippt hatten. Gleichzeitig arbeiteten die Ermittler mit den Sachbeweisen, die sie finden konnten – der Leiche, dem Brief und einem entscheidenden kleinen Gegenstand, der in der Nähe von Roberts Leiche gefunden wurde: einer kleinen Hornbrille. Diese hatte Nathan verloren. Ein sehr wichtiger Zufall, der im weiteren Verlauf eine entscheidende Rolle spielen sollte.
Möchtegern-Verbrechergenies und ihre unklugen Fehler
Aufgrund des Erpresserbriefes war der Polizei sofort klar, dass der oder die Täter intelligent und gebildet sein mussten. Dies teilte sie auch der Presse mit, die gezielt benutzt wurde, um den Druck auf die Täter zu erhöhen. Die Polizei veröffentlichte alles, was sie über die Sachbeweise ermitteln konnte, um mithilfe der Belohnung jeden, der etwas über die Täter sagen konnte, zur Aussage zu motivieren.
So wurde berichtet, dass der Erpresserbrief auf einer Schreibmaschine der Firma Underwood getippt worden war. Die forensischen Spurenkundler waren sogar in der Lage festzustellen, dass die Person, die den Brief getippt hatte, noch nicht lange mit der Maschine gearbeitet hatte. Dies konnte man bei Schreibmaschinen beispielsweise durch die Härte des Anschlags bei bestimmten Buchstaben erkennen. Ebenso wurde ein Foto der kleinen Hornbrille veröffentlicht. Zum Bedauern der Polizei handelte es sich dabei aber um ein Modell, das damals sehr viele Menschen trugen. Das einzige auffällige Merkmal war, dass die Enden der Halterung so aussahen, als habe jemand hin und wieder nervös darauf herumgekaut. Da man wirklich alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen wollte, wurden auch Brillenhersteller um Hilfe gebeten.
Nathan und Richard versuchten sich noch einzureden, sie hätten die Sache trotz aller unvorhergesehenen Entwicklungen halbwegs im Griff. Ihr wirklichkeitsverzerrter Glaube, alle anderen Menschen seien einfach so viel dümmer als sie, dass niemand ihnen etwas anhaben könnte, ließ sie sich noch halbwegs sicher fühlen. Wie Sie an dem Erpresserbrief gesehen haben, hilft aber alle Intelligenz der Welt einem Täter nicht weiter, wenn er eine sehr auffällige Persönlichkeit hat. Egal wie schlau er ist, diese Persönlichkeit leitet immer wieder sein Verhalten. Dies demonstrierte Richard, als er die Tat schon zwei Tage später in seinem Größenwahn nutzte, um sich vor seinen Kommilitonen als besonders klug aufzuspielen.
Richard war in einer Studentenverbindung, der auch einige junge Männer angehörten, die als Reporter für verschiedene Zeitungen arbeiteten. Am Freitagmorgen schlug er einem seiner Verbindungsbrüder vor, sie könnten doch spaßeshalber selbst »ermitteln«. Inzwischen war öffentlich geworden, dass die Täter ein Taxi zu einem Drugstore hatten schicken wollen; unklar blieb nur, zu welchem. In einer großen Stadt wie Chicago gab es unzählige Drugstores. Richards Vorschlag endete damit, dass er mit dreien seiner schreibenden Verbindungsbrüder nach einer von ihm aus Kriminalromanen zusammengeschusterten Logik Drugstores abklapperte und die Betreiber
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