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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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befragte, ob ihnen etwas Besonderes aufgefallen war.
    Nach mehreren »Fehlversuchen« landeten sie tatsächlich im richtigen Geschäft und erhielten die Auskunft, dass dort am betreffenden Tag zwei merkwürdige Anrufe eingegangen waren. So stand Richard – clever inszeniert – vor den jungen Reportern als schlauer Held da, der etwas Sachdienliches zum Fall entdeckt hatte.
    Zu diesem Zeitpunkt kam allerdings keiner seiner Verbindungsbrüder auf die Idee, er selbst könne der Täter sein. Wie so oft in solchen Fällen können die meisten Menschen einfach nicht glauben, dass jemand, den sie kennen, ein so unvorstellbar grausames Verbrechen begehen kann. In diesem Fall kam hinzu, dass die Polizei der Presse mitgeteilt hatte, das Tatmotiv sei offensichtlich Habgier. Da Richard bekanntermaßen sehr reich war, machte es also überhaupt keinen Sinn, dass er mit dem Mord zu tun haben könnte.
    Deshalb fanden seine Verbindungsbrüder eine Bemerkung von Richard, direkt nachdem sie die Drogerie gefunden hatten, zwar nicht sehr sympathisch, aber auch nicht verdächtig. Da sie wussten, dass er in der gleichen Gegend lebte, fragten sie ihn, ob er den Jungen gekannt habe. Richard bejahte sofort und fügte lächelnd hinzu: »Wenn ich vorhätte, jemanden zu ermorden, dann würde ich so einen überheblichen kleinen Hurensohn wie Bobby Franks töten.«
    Zur gleichen Zeit befragte die Polizei den Jagdaufseher des Gebietes, wo Roberts Leiche gefunden worden war. Der erzählte unter anderem, dass sich dort häufiger ein junger Mann namens Nathan Leopold aufhalte, um Vögel zu beobachten. Nathan erklärte auf Befragen völlig ruhig und plausibel, dass er ein begeisterter Vogelkundler sei und über den Mord nichts wisse. Seine Familie war reich und angesehen, auch bei ihm konnte man das Motiv Habgier also ausschließen. Daher ging die Polizei der Sache nicht weiter nach.
    Dann kam die entscheidende Wende – durch ein winziges Detail. Inzwischen hatte die Polizei mithilfe von Herstellern herausgefunden, dass das Modell der Hornbrille zwar weit verbreitet war. Doch das Scharnier der Brille hatte eine Besonderheit: Es war eine seltene Ausführung, nicht zu erkennen für jemanden, der kein ausgesprochener Fachmann war. So stellte sich heraus, dass im gesamten Gebiet von Chicago nur genau drei Brillen dieses Modells mit ebendiesem besonderen Scharnier verkauft worden waren. Es gab Unterlagen dazu, wer die Käufer waren. Die Polizei staunte nicht schlecht, als sie die Liste mit den drei Namen in die Hand bekam. Einer davon war Nathan Leopold.

    Der ausschlaggebende Beweis: Nathans Brille.

Zwei Kontrollfreaks verlieren die Kontrolle
    Der Staatsanwalt wollte den reichen jungen Sohn einer angesehenen Familie nicht im Polizeikommissariat von Chicago befragen, da sich dort wegen des Mordes sehr viele Reporter herumtrieben. Daher bestellte er Nathan zur Befragung in ein Zimmer des großen, teuren »La Salle«-Hotels. Der Student blieb über die gesamte, mehrstündige Befragung, die sich bis vier Uhr morgens hinzog, ruhig und entspannt. Zunächst gab er an, er besitze eine entsprechende Brille, die er aber nur zum Lesen und Schreiben nutze. Er habe sie gerade nicht dabei, sie müsse wohl zu Hause sein.
    Bei der Suche vor Ort ergab es sich, dass er die Brille »überraschend nicht finden konnte«. Auch das machte ihn nicht nervös, er hatte schließlich längst eingeräumt, in dem Gebiet, wo sie gefunden worden war, öfter Vögel zu beobachten. Das letzte Mal habe er dies am Wochenende vor der Tat getan, begleitet von zwei Freunden, die das auch bestätigen könnten. Nathan lieferte nun ein perfektes Schauspiel ab, er tat völlig überrascht und meinte: Na klar! Sicher sei die Brille aus der Brusttasche seines Anzugs gefallen, als er dort war. Er könne sich erinnern, dass er dort an jenem Wochenende gestolpert sei, dabei müsse die Brille wohl herausgefallen sein. Die Polizei stellte die Situation nach, indem sie die Brille in seine Brusttasche steckte. Aber egal wie oft er den »Sturz« wiederholte, die Brille fiel einfach nicht.
    Dies kam den Polizisten zwar verdächtig vor, doch es war alles andere als ein verwendbarer Beweis. Im Laufe der Befragung fiel den Polizisten lediglich auf, dass Nathan niemals nervös wurde und schnelle, plausible Antworten auf alle Fragen hatte. Zum Tattag gab er an, er sei mit seinem sehr guten Freund Richard unterwegs gewesen, sie hätten im Lincoln Park Vögel beobachtet, danach ein Mittagessen eingenommen und seien

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