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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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Salvatores schriftlichen Unterlagen finden die Polizisten unter anderem ein Papier, in dem es um die »Lizenz zum Töten« geht. Außerdem finden die Polizeibeamten in seiner Wohnung Artikel aus Fachzeitschriften, die sich mit Serienmördern und Morden ohne offensichtliche Motive beschäftigen. In Giovannis Unterlagen finden die Ermittler Zettel mit Namen von Mädchen, die er kennt, und auf denen sogar deren Unterwäsche genau beschrieben ist. Dies alles macht die jungen Juristen in den Augen der Ermittler verdächtig. Doch weiterhin fehlt jede Spur von einer Mordwaffe, die Verdächtigen gestehen nichts und vor allem: Es scheint kein plausibles Motiv für den Mord zu geben.
    Die Staatsanwaltschaft versucht, das offenbar einzige in Frage kommende Motiv plausibel zu machen: Die aufstrebenden Juristen hätten den »perfekten Mord« begehen wollen. Beide arbeiten am Institut für Rechtsphilosophie, beschäftigen sich also mit abstrakten juristischen und moralischen Fragen. Beide sind auffällig intelligent, scheinen sich aus tiefem Interesse mit ihrem Fachgebiet zu beschäftigen und haben eine vielversprechende berufliche Zukunft vor sich. Vielleicht haben sie sich in das Gedankenspiel, ob ein perfekter Mord planbar und durchführbar ist, gemeinsam hineingesteigert – so zumindest die Überlegung der Staatsanwaltschaft. Dieses Motiv erscheint für Normalsterbliche sehr ungewöhnlich und abseitig, doch im Mordfall Marta Russo gibt es offensichtlich kein anderes, naheliegendes. Warum aber sollte für die jungen Juristen das Ziel, einen perfekten Mord zu begehen, reizvoll genug sein, um ihre gesamte Zukunft aufs Spiel zu setzen? Vorstellbar ist dieses Motiv zwar, doch wirklich nachfühlen kann es niemand. Man sollte glauben, so etwas gibt es nur im Kino.
    Und tatsächlich fühlt man sich bei dem Fall Russo an einen Film von Alfred Hitchcock erinnert. Auch in »Cocktail für eine Leiche« (1948) geht es um den perfekten Mord. Die Studenten Brandon Shaw und Phillip Morgan erdrosseln ihren Kommilitonen David Kentley mit einem Seil. Die Leiche verstecken sie in einer Truhe, die in der Mitte ihres Wohnzimmers steht. Um sich zu beweisen, dass sie besser sind als andere Menschen, ja dass sie so mächtig sind wie Gott selbst, veranstalten sie dann sogar eine kleine Party am Tatort. Die Truhe mit der Leiche benutzen sie dabei als mitten im Raum stehenden Tisch. Der letzte Gast der Party, der Dozent Rupert Cadell, deckt schließlich die Tat seiner beiden Studenten auf, entsetzt darüber, dass die Gedankenspiele in seinem Seminar, inwieweit Mord eine Form von »Kunst« sein könne, die jungen Männer zu einer so grausamen Tat inspiriert haben. Aber, wie es einer der beiden Täter ausdrückt: »Wir töteten der Gefahr wegen und des Tötens wegen.«

Wenn die Wirklichkeit die Phantasie übertrifft
    Keiner ist so verrückt,
    dass er nicht einen noch Verrückteren fände,
    der ihn versteht.

    (Heinrich Heine)
    Hitchcocks Film wurde seinerseits von einem echten Mordfall inspiriert. 1924 töteten der 19-jährige Nathan Leopold Junior und der 18-jährige Richard Loeb in Chicago den 14-jährigen Robert Franks. Nathan und Richard stammten beide aus Oberschicht-Familien, lebten in derselben wohlhabenden Gegend, waren beide überdurchschnittlich intelligent und studierten, als sie den Mord begingen, beide Jura.

    Nathan Leopold (mit Krawatte) und Richard Loeb kurz nach ihrer Festnahme.
    Nathan galt als Wunderkind. Er sprach seine ersten Worte im Alter von nur vier Monaten. Mit sechzehn Jahren begann er ein Studium an der Universität von Chicago, das er drei Jahre später abschloss. Anschließend studierte er Jura. Darüber hinaus sprach er mehrere Fremdsprachen fließend und war nebenbei noch ein begeisterter Vogelkundler. Richard hatte mit vierzehn Jahren sein Studium an der Universität von Chicago begonnen. Weil er aus seinem Elternhaus wegziehen wollte, wechselte er auf die Universität von Michigan, wo er mit siebzehn sein Studium abschloss. Damit wurde er zu einem der jüngsten Hochschulabsolventen, die jemals an dieser Universität den Abschluss machten.
    Die hochbegabten jungen Männer lernten sich an der Universität von Chicago näher kennen und gingen eine verhängnisvolle Freundschaft ein. Beide waren sich bewusst darüber, dass sie sich durch ihre überdurchschnittliche Intelligenz von Gleichaltrigen unterschieden. Sie deuteten ihr »Anderssein« als »Bessersein«. Durch ihre Freundschaft steigerten sie sich in die gefährliche

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