Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
Vom Netzwerk:
überhaupt?
    Sherlock: Würde es helfen, sie zu retten, wenn es mich berührt?
    John: Nein.
    Sherlock: Dann werde ich diesen Fehler auch weiterhin vermeiden.
    John: Und das fällt dir leicht, ja?
    Sherlock: Ja, sehr! Ist das neu für dich?

    (Dialog aus der BBC-Serie »Sherlock«)
    Stellen Sie sich vor, Sie stehen an einer Gleisanlage. Hinter sich sehen Sie, wie ein außer Kontrolle geratener, leerer Straßenbahnwagen sehr schnell auf Sie zukommt. In einiger Entfernung vor sich sehen Sie fünf Gleisarbeiter. Die Männer arbeiten konzentriert, sie tragen Lärmschutz-Kopfhörer und stehen auch so, dass sie die drohende Gefahr auf keinen Fall erkennen werden. Sie selbst sind zu weit von den Arbeitern entfernt, um sie rechtzeitig zu warnen. Da bemerken Sie neben sich eine Weiche, mit der Sie den Straßenbahnwagen auf ein anderes Gleis umleiten könnten. Doch dort steht ebenso weit entfernt und ebenso unfähig, die Gefahr zu erkennen, ein weiterer einzelner Gleisarbeiter.
    Wenn Sie nichts tun, werden die fünf Männer sterben. Entscheiden Sie sich, die Weiche umzustellen, retten Sie die fünf Männer, doch dafür wird der eine Mann sterben, der sonst überlebt hätte.
    Sie haben keine Zeit, um lange nachzudenken. Was tun Sie?
    Dieses Gedankenexperiment wurde von der britischen Philosophin Philippa Foot entwickelt. Die meisten Menschen entscheiden hier, dass sie die Weiche umstellen würden. Sie sagen jedoch, dass sie sich nicht ganz wohl dabei fühlen. Schließlich stirbt deshalb der eine Mann, der sonst nicht gestorben wäre. Andererseits würden sie sich noch schuldiger fühlen, wenn sie die fünf Männer nicht retten würden. Diese Entscheidung treffen normale Menschen also nicht hauptsächlich, weil es das Vernünftigste ist, sondern sie entscheiden nach ihrem Gefühl.
    Das Gefühl sagt: In dieser Situation wirst du mehr Schuldgefühle haben, wenn du fünf Menschen sterben lässt, als wenn du einen Menschen sterben lässt. Diesen Menschen tötest ja nicht du , sondern die Bahn, die auf jeden Fall jemanden getötet hätte. Es ist die vernünftigste Entscheidung und auch die Entscheidung, bei der die Schuldgefühle am kleinsten sind.
    Vermutlich wäre das auch Ihre Entscheidung in diesem Fall. Die nächste Entscheidung, die Sie treffen sollen, wird schwieriger:
    Sie sind wieder in fast derselben Situation. Dieses Mal gibt es aber nur ein Gleis vor Ihnen, auf dem die fünf Gleisarbeiter stehen. Sie stehen auf einer Brücke genau über dem Gleis. Vor Ihnen, direkt am Geländer, steht ein auffallend großer und stark übergewichtiger Mann. Da es nur ein Gedankenexperiment ist, nehmen Sie bitte einfach an, dass Folgendes möglich ist: Das Körpergewicht dieses Mannes würde sicher ausreichen, um den Straßenbahnwagen rechtzeitig vor den Bauarbeitern zu stoppen. Sie haben auch die Körperkraft, um diesen Mann, bevor er weiß, wie ihm geschieht, von der Brücke direkt auf die Gleise zu stoßen. Das Ergebnis wäre das gleiche wie im ersten Fall: Ein Mann würde sterben, dafür würden fünf Männer überleben.
    Sie haben keine Zeit, um lange nachzudenken. Entscheiden Sie jetzt, was Sie tun.
    Diese Fortsetzung des ersten Gedankenexperiments stammt von der US-amerikanischen Philosophin Judith Jarvis Thomson. Hier entscheiden die meisten Menschen, den Mann nicht von der Brücke zu stoßen. Sie finden es zwar schrecklich, dass die fünf Arbeiter sterben werden, aber noch schrecklicher fühlt sich die Vorstellung an, eigenhändig einen anderen Menschen zu töten. Wenn sie den Mann auf der Brücke persönlich töten würden, hätten sie für immer große Schuldgefühle und könnten damit nicht gut leben. Die fünf Gleisarbeiter töten sie ja nicht persönlich, sie verhindern nur nicht, dass die Bahn sie tötet. Fünf Menschen nicht zu retten, erzeugt also weniger Schuldgefühle, als einen Menschen eigenhändig zu töten. Wieder entscheidet das Gefühl, nicht die Vernunft. Völlig sachlich betrachtet ist die Anzahl der Menschenleben, die auf dem Spiel stehen, haargenau dieselbe. Trotzdem sagen die meisten Menschen, dass sie die beiden Situationen sehr unterschiedlich empfinden und dass sie in der zweiten eine andere Entscheidung treffen würden als in der ersten.
    Psychopathische Menschen fühlen nur sehr wenig. Deshalb spielen Gefühle für sie bei der Entscheidung in beiden Situationen keine Rolle. Das sieht man auch an ihren Antworten. In beiden Situationen entscheiden die meisten von ihnen, dass es selbstverständlich vernünftig

Weitere Kostenlose Bücher