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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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Gefühl entscheidet daher: Nicht zu spenden, fühlt sich hier besser an, also spende ich nicht.
    Warum haben Sie im zweiten Beispiel keine Gewissensbisse? Das liegt am – im Laufe der Menschheitsgeschichte angelegten – »Schlechtes-Gewissen-Programm« des Gehirns. Dieses Programm soll Sie vor allem dazu veranlassen, Menschen in Ihrer unmittelbaren Nähe zu helfen. Es ist eines der »Programme«, das sich über zweihunderttausend Jahre als nützlich für das Leben in der Gruppe erwiesen hat. Wenn ein Mitglied der Gruppe – vor allem ein Kind, also der »Träger« der Gene in die nächste Generation – in Lebensgefahr geriet, war es für alle nützlich, dass es gerettet wurde. So konnten sich alle Gruppenmitglieder grundsätzlich aufeinander verlassen. In dieser bedrohlichen Situation zeitaufwendige, sachliche »Kosten-Nutzen-Überlegungen« anzustellen, wäre weniger nützlich gewesen, weil die Hilfe dann zu spät oder gar nicht gekommen wäre.
    Deshalb hat sich das grundsätzlich angeborene Programm »Rette ein Leben, wenn du kannst, sonst gibt es Schuldgefühle« durchgesetzt. Allerdings war es immer auf Situationen ausgelegt, in denen jemand in unmittelbarer Nähe Hilfe brauchte. Weltweit operierende Hilfsorganisationen hat dieses Programm nicht »abgespeichert«. Daher schaltet es in einem Fall wie dem zweiten auch keine ausreichenden Gefühle ein.
    Weil dieses evolutionäre Gehirnprogramm also noch kein »Update« für die moderne Welt entwickelt hat, treffen Sie manche Entscheidungen – wie im Gedankenexperiment mit der Geldspende – nach derselben Logik wie Psychopathen: Da Ihnen in solchen Situationen kein schlechtes Gewissen »Kosten« erzeugt, entscheidet sich Ihr Gehirn egoistisch. Es erfindet Gründe, warum Sie auch sachlich betrachtet keine Schuld trifft, wenn Sie lieber an sich denken. Damit bleibt Ihr Gewissen rein. So rein, wie es bei einem Psychopathen bleiben würde, wenn er an einem Teich mit einem ertrinkenden Kind vorbeispaziert und entscheidet, dass ihm seine teuren, neuen Lederschuhe wichtiger sind als das Leben des Kindes.
Sie würden nie ein Kind töten?
– Da wäre ich mir nicht so sicher
    Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem Krieg. Die feindlichen Truppen ziehen durch Ihre Stadt und wollen alle Einwohner töten – also auch Sie, Ihre Familie und Ihre Nachbarn. Um zu überleben, haben Sie sich mit einigen Ihrer Nachbarn in einem kleinen Kellerraum versteckt, der nur durch eine Bodenluke zu erreichen ist. Die Luke ist von einem Teppich verdeckt. Sie haben also gute Chancen, dort zu überleben, bis die Truppen weitergezogen sind. Alle im Keller haben panische Angst, als sie hören, dass ein Trupp feindlicher Soldaten das Haus durchsucht. Sie dürfen nicht das geringste Geräusch verursachen, damit die Soldaten ihr Versteck nicht finden. Plötzlich merken Sie, dass das Baby im Arm einer Ihrer Nachbarinnen unruhig wird. Alles passiert im Bruchteil von Sekunden. Ihnen wird klar, dass das Baby gleich anfängt zu schreien. Dann werden die Soldaten im Raum über Ihnen sofort merken, wo Sie versteckt sind, und alle töten – daran besteht kein Zweifel. Irgendjemand muss dem Baby sofort den Mund zuhalten. Ihnen ist völlig klar, dass es dadurch ersticken wird. Wenn Sie aber nichts unternehmen, werden die Soldaten alle erschießen, auch das Baby. Was tun Sie?
    Wenn Sie sich in diese Situation hineindenken, fühlen Sie wahrscheinlich großes Entsetzen. Vernünftig gedacht, gibt es keine andere Möglichkeit, als das Baby zu ersticken. Entweder das Baby stirbt, oder alle sterben mit dem Baby zusammen. Doch ist es nun »gut« oder »böse«, das Baby in dieser Situation zu töten? Ein unschuldiges Kind zu töten, wird von den allermeisten Menschen als absolut böse empfunden. Allein die Vorstellung, dass Sie dabei zusehen müssten, wird Ihnen unerträglich sein. Sowohl Ihre persönliche Überzeugung, dass es eigentlich Unrecht ist, als auch Ihr starkes Gefühl sind sich in dieser Sache völlig sicher: Das kann nicht gut sein, es muss böse sein.
    In Ihrem Gehirn streiten bei diesem Gedankenexperiment die Hirnregionen für Gefühle mit jenen für vernünftige, sachliche Lösungen. Ihr »Gefühlszentrum« fährt zur Hochform auf und sendet unmissverständlich die Botschaft: »Das fühlt sich grauenvoll an, das darfst du nicht zulassen, es ist zutiefst böse, ein Baby zu töten!« Das »Vernunftzentrum« sendet aber die ebenso klare Botschaft: »Das Baby wird auf jeden Fall sterben. Egal

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