Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
ich eins habe.« Christian kennt mich zu diesem Zeitpunkt schon gut genug, um genau zu wissen, dass mich das weder schockiert noch sonst irgendwie wundert.
Ich frage ihn: »Gibt es irgendeine Situation in deinem Leben, in der du auch nur ansatzweise ein tieferes schlechtes Gewissen hattest?« Kurz überlegt er, dann sagt er grinsend: »Oh ja, da gab es garantiert welche, aber die muss ich gut genug verdrängt haben.« Wenn man ihn nicht kennt, könnte man bei dieser Aussage meinen, er habe nur keine Lust zu antworten. Doch wenn es um unangenehme Gefühle geht, die er zumindest ansatzweise manchmal empfindet, kommt er öfter an diesen Punkt: Er weiß, dass er solche Gefühle hat, wenn auch selten und eher schwach, aber meist fällt es ihm sehr schwer, sich konkret daran zu erinnern. Ich möchte ihn dazu bewegen, genauer darüber nachzudenken, als ich sage: »Fällt dir echt keine einzige solche Situation ein?« Er überlegt sehr lange. Schließlich sagt er: »Nee.«
Schuldgefühle – Die Gewissens-Polizei in unseren Köpfen
Die meisten Menschen empfinden Schuldgefühle als sehr unangenehm. Auch nach längerer Zeit ist ihnen noch unwohl, wenn sie an Situationen denken, in denen sie einmal Schuldgefühle hatten. Deshalb verhalten sie sich in Zukunft meist so, dass dieses Gefühl erst gar nicht aufkommt. Ihr Verhalten wird also durch Schuldgefühle verändert. Da Christian seine seltenen Anflüge von Schuldgefühlen nie stark und nie lange empfindet und die Anlässe auch schnell vergisst, hat er auch keinen Grund, sein Verhalten zu ändern. Der Mangel oder das völlige Fehlen von Schuldgefühlen ist ein typisches Kennzeichen psychopathischer Menschen und wirkt sich natürlich darauf aus, wie sie bestimmte Situationen bewerten und welche Entscheidungen sie in ihnen treffen.
Können Sie sich vorstellen, wie Sie wären, wenn Sie nie Schuldgefühle empfunden hätten? Wie wäre Ihr Leben dann verlaufen? Wären Sie ein anderer Mensch als der, der Sie jetzt sind? Falls Sie zum Großteil der Menschheit gehören, der Schuldgefühle empfinden kann, dann dürfte es Ihnen schwerfallen, sich das vorzustellen. Wie mächtig Schuldgefühle sind und wie stark sie das Denken und Tun beeinflussen, ist für normal fühlende Menschen nur schwer zu begreifen. Deshalb möchte ich Sie an dieser Stelle auf eine Reise durch Ihr eigenes Gewissen mitnehmen. Ich biete Ihnen ein paar Erkenntnisse über »gut« und »böse« an. Überlegen Sie sich gut, ob Sie zugreifen möchten.
KAPITEL 7
DIE VERBOTENE FRUCHT –
ERKENNTNIS VON GUT UND BÖSE
Sag mir, würdest du töten,
um ein Leben zu retten?
Sag mir, würdest du töten,
um zu beweisen, dass du recht hast?
(Hurricane – 30 Seconds to Mars)
Denken Sie, dass Sie ein guter Mensch sind? Wahrscheinlich schon. Kein »Heiliger« vielleicht, aber ein böser Mensch sind Sie sicher auch nicht, oder?
Die meisten Menschen halten sich für gute Menschen. Sie glauben also zu wissen, was »gut« und was »böse« ist. Es scheint selbstverständlich zu sein, dass »man« das weiß. Deshalb braucht »man« sich darüber auch keine großen Gedanken zu machen. Haben Sie sich jemals selbst gefragt, woher Sie dieses Wissen nehmen?
Ich möchte Sie vorwarnen. Wenn Sie dieses Kapitel weiterlesen, werden Sie Ihr Gewissen von einer ganz neuen Seite kennenlernen. Sie werden herausfinden, warum Sie bestimmte Entscheidungen treffen. Sie werden herausfinden, warum Sie glauben beurteilen zu können, ob andere Menschen etwas »Böses« tun. Danach werden Sie nicht mehr so sicher sein, was »gut« und was »böse« ist.
Die »Erkenntnis von Gut und Böse« ist verlockend, aber auch gefährlich. Schon die Bibel berichtet, wie Adam und Eva, weil sie nach diesem Wissen trachteten, ihre Unsterblichkeit und ihr Paradies verloren. Sie konnten dem Angebot der Schlange nicht widerstehen, eine verbotene Frucht vom »Baum der Erkenntnis« zu essen. Die Schlange versprach ihnen: »Wenn ihr davon esst, so werden eure Augen aufgetan. Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.« Zwar erlangten Adam und Eva die versprochene Erkenntnis, doch die Folgen machten sie nur unglücklich.
Nun müssen Sie sich entscheiden: Wollen Sie wirklich wissen, was Ihr Gewissen ausmacht? Wollen Sie wirklich wissen, ob Sie der gute Mensch sind, für den Sie sich halten?
Weiß Ihr Gewissen, was richtig und was falsch ist?
John: Es stehen Leben auf dem Spiel, Sherlock! Richtige Menschenleben! Nur damit ich’s weiß, berührt dich das
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