Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
was du tust, dieses Ergebnis lässt sich nicht ändern. Wenn wegen dem Baby alle sterben, sind die ›Kosten‹ aber höher. Das Baby muss erstickt werden, damit wenigstens die anderen überleben.«
Denken Sie nach. Wenn Sie in dieser Lage das Kind töten oder auch nur dabei zusehen, sind Sie dann böse? Wären Sie nur dann nicht böse, wenn Sie diese böse Tat auf keinen Fall zulassen würden? Wenn Sie das, was Ihr Gefühlszentrum als böse empfindet, nicht tun, müssen Sie jedoch Ihr Leben und das aller anderen im Keller opfern – auch das des Babys. Glauben Sie, dass Sie aus dieser Situation nur als toter, aber guter – weil schuldloser – Mensch oder als böser, aber lebender Mensch herauskommen? Wofür würden Sie sich entscheiden?
Dieses Gedankenexperiment wurde als »das Baby-Dilemma« durch die erfolgreiche US-amerikanische Fernsehserie M*A*S*H bekannt, die im Koreakrieg spielt. Eine ähnliche Situation, in der eine Mutter ihr Baby töten muss, war in der letzten Folge von M*A*S*H zu sehen. Diese Serienfolge, ausgestrahlt am 28. Februar 1983, hält bis heute mit 106 Millionen Zuschauern den Rekord für die höchste Einschaltquote, die eine Fernsehserie in den USA jemals erreichte. Das »Baby-Dilemma« am Ende einer solchen Serie darzustellen, war psychologisch gesehen eine sehr clevere Idee. M*A*S*H erzählt die Geschichte zweier Chirurgen der US-Armee, die in einem mobilen Feldlazarett den Koreakrieg miterleben. In der Serie wird gezeigt, wie schrecklich, grausam und ungerecht die Auswirkungen eines Krieges sind.
Das »Baby-Dilemma« führt dem Zuschauer vor Augen, dass in manchen Situationen die Grenze zwischen »Gut« und »Böse« verschwimmt. Im echten Leben werden »gute« Menschen nicht in letzter Sekunde von einem Wunder oder einem strahlenden Helden gerettet. Jeder Mensch könnte irgendwann in eine Lage kommen, in der er etwas Unvorstellbares, etwas scheinbar »Böses« tut.
Trauen Sie sich, schonungslos ehrlich zu sich selbst zu sein:
Würden Sie in dem Keller eingreifen, während die verzweifelte Frau ihr Baby direkt neben Ihnen erstickt?
Ich würde es nicht tun.
KAPITEL 8
DAS EIS WIRD DÜNNER:
EINE PSYCHOPATHISCHE MUTTER
So viele Drohungen und Ängste,
so viele verschwendete Jahre,
bevor mein Leben
endlich mir gehörte.
(Objects in the Rear View Mirror May Appear Closer than They Are – Meat Loaf)
Tina war eine selbstbewusst wirkende Frau Anfang dreißig, als sie mit mir über die Erlebnisse ihrer Kindheit sprach. Sie ließ mich auch Briefe lesen, die sie an ihre Mutter und verschiedene Behörden geschrieben hatte. Meiner Einschätzung nach hat Tinas Mutter, die zur Zeit unserer Begegnung in Haft saß, eine stark ausgeprägte psychopathische Persönlichkeit. Ich erklärte Tina, was einen Psychopathen ausmacht, und sie erlaubte mir, ihren Fall hier abzudrucken.
Tinas Mutter verliebte sich als Jugendliche in Tinas leiblichen Vater, der wesentlich älter als sie selbst war. Die Beziehung verlief turbulent, er versuchte sich von ihr zu trennen. Daraufhin stieg sie durch ein Fenster in seine Wohnung ein und erwischte ihn mit einer anderen Frau im Bett. Es entwickelte sich ein Streit, in dessen Verlauf Tinas Mutter aus dem Fenster stürzte. Inwieweit es sich wirklich um einen Unfall handelte, weiß Tina bis heute nicht. Jedenfalls verletzte sich ihre Mutter schwer am Rücken. Daraufhin zeigte die Mutter von Tinas Mutter den Exfreund an. Dessen Mutter wiederum legte ihrem Sohn nahe, das junge Mädchen zu heiraten, um nicht ins Gefängnis zu müssen. So ließ sich Tinas Vater zur Ehe mit ihrer Mutter drängen. Diese hielt nur wenige Jahre. Es folgten weitere kurzzeitige Partnerschaften und Ehen, aus denen insgesamt sieben Kinder hervorgingen.
Tina schilderte die Erlebnisse mit ihrer Mutter in einem Brief an das Jugendamt. Dabei versuchte sie, die sehr belastende Situation für ihre minderjährigen Geschwister zu erklären, die von ihrer Mutter aus dem Gefängnis heraus stark unter Druck gesetzt wurden. Die Auszüge aus Tinas Brief zeigen, wie eine psychopathische Mutter auf ihre Familie einwirken kann. Weibliche Psychopathen bleiben meist ein Leben lang unentdeckt. Das liegt einerseits daran, dass sie noch stärker als männliche Psychopathen vor allem ihre Angehörigen beeinflussen und ausnutzen, und dies oft so geschickt, dass sie nie juristisch belangt werden. Außerdem wissen die meisten Menschen bei weiblichen Psychopathen noch weniger, was die typischen Verhaltensweisen
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