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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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dass die jungen Männer sich mit gewählten, höflichen und doch nachdrücklichen Worten ausdrücken. Sie benutzen auffällig lange, verschachtelte Sätze. Die Anweisungen sind schlüssig und beinhalten einige wohlüberlegte Vorsichtsmaßnahmen. All dies zusammen weist auf den ersten Blick darauf hin, dass dieser Brief von einer intelligenten, gebildeten Person geschrieben worden sein muss.
    Den Brief auf diese Weise zu formulieren, war jedoch keine besonders kluge Idee der beiden Möchtegern-Verbrechergenies. Denn so war vollkommen klar, dass der oder die Entführer eher einer höheren Bildungsschicht angehörten, die gerade im Chicago der 20er Jahre nicht den Großteil der Bevölkerung ausmachte. Somit hatten die beiden den in Frage kommenden Täterkreis auf genau die Gruppe von Menschen eingeengt, zu der sie tatsächlich gehörten: gebildete Angehörige einer höheren Schicht. Es wäre schlauer gewesen, den Brief auf eine Art zu formulieren, die auf deutlich weniger gebildete Täter hingewiesen hätte.
    Dieser Fehler war einer von mehreren, die Nathan und Richard zum Verhängnis wurden. Ich glaube eigentlich nicht, dass die beiden nicht clever genug waren, um selbst auf diesen Gedanken zu kommen. Meiner Meinung nach wurde ihnen die Sicht auf diesen »Brief-Fehler« von etwas verstellt, das mit logischem Denken nicht viel zu tun hat: von ihrem extremen Bedürfnis, in allem, was sie taten, ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Ein typisches Problem von Narzissten.
    Wie Sie inzwischen wissen, sind Psychopathen die »großen Brüder« der Narzissten. Das bedeutet, sie haben meist viele narzisstische Eigenschaften und noch einige auffällige Eigenschaften zusätzlich. Schon »gewöhnliche« Narzissten tun prinzipiell alles, um überlegen zu wirken. Sie vermeiden wie der Teufel das Weihwasser, auch nur im Entferntesten bei irgendetwas unterlegen zu erscheinen. Das ist auch bei vielen Psychopathen so, besonders bei den wirklich stark ausgeprägten.
    Nathan und Richard gehörten zu den eher stark ausgeprägten Psychopathen: Sie überschätzten sich maßlos, indem sie glaubten, »Übermenschen« zu sein. Es fiel ihnen leicht zu lügen, vor anderen zu schauspielern, sich gekonnt auszudrücken und somit andere zu beeinflussen. Ihre Gefühle waren offensichtlich vollkommen oberflächlich, falls überhaupt vorhanden. Mitgefühl, Schuldgefühl, Angst waren ihnen völlig fremd. Daher suchten sie die typisch psychopathischen Kicks und begingen sogar nur um dieser Kicks willen Diebstähle. Verantwortung für das, was sie taten, übernahmen sie natürlich nicht. Nathan selbst drückte dieses »Recht« des »Übermenschen« mit den Worten aus: »Er ist nicht haftbar, egal was er tun mag.«
    Als »Übermenschen«, die sie gerne sein wollten, konnten die jungen Männer einfach keinen Erpresserbrief schreiben, der »unter ihrem Niveau« gewesen wäre. Schließlich war es für sie völlig selbstverständlich, sich durchdacht und sprachgewandt auszudrücken. Außerdem hatten das Vortäuschen einer Entführung und die Erpressung hauptsächlich den Zweck, Kontrolle über die Familie des Ermordeten auszuüben. Nathan und Richard wollten mit dieser ganzen Inszenierung die Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen von Roberts Eltern lenken, was ihnen auch gelang.
    Dazu gehörte auch, dass sie in den Eltern ein gewisses »Bild« von dem oder den Entführern erzeugten. Nathan und Robert wären nie auf die Idee gekommen, durch ihren Brief das Bild eines ungebildeten Kleinganoven zu vermitteln. Solch ein Täter war in ihrer Vorstellung denkbar weit entfernt von einem »Übermenschen«. Roberts Eltern sollten durch den Brief das Gefühl haben, dass ihr Sohn von einem Furcht einflößenden, weil intelligenten und kultivierten Verbrecher, entführt worden war. Nathan und Richard konnten ihrem Bedürfnis nicht widerstehen, den Erpresserbrief zu einem Selbstporträt ihrer Persönlichkeit zu machen.

Nicht nur der Inhalt, auch die Form zählt
    Jeder Mensch lügt.

    (Gregory House in der Serie »Dr. House«)
    Wie ich schon früher erwähnte: Nicht nur was Menschen mitteilen, sondern auch wie sie es mitteilen, birgt sehr viele Informationen; oft mehr, als die meisten wissen. Ein Beispiel hierfür war ein Fall, an dem ich als Beraterin mitarbeitete. Ein Mann behauptete seiner Familie und seinen Freunden gegenüber, von einer Bekannten bedrängt zu werden und sogar Drohbriefe zu erhalten. Er wollte dies angeblich beweisen und dann mithilfe von Fachleuten

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