Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
sie je überführen könnte. Damit wäre ihre Überlegenheit gegenüber den anderen Menschen endgültig bewiesen. Somit sollte die Tat die drei wichtigsten Bedürfnisse von Nathan und Richard befriedigen, zugleich die absoluten Grundbedürfnisse der meisten Psychopathen: Macht, Kontrolle und Überlegenheit. Sieben Monate lang planten die jungen Männer ihre Tat.
Am Mittwoch, dem 21. Mai 1924, lockten die Studenten den Millionärssohn Robert Franks auf seinem Heimweg von der Schule in ein Auto, das sie eigens für diesen Zweck ausgeliehen hatten. Es war für sie einfach, den 14-Jährigen zum Einsteigen zu bewegen, denn er kannte die beiden. Er war mit Richard entfernt verwandt und sein Nachbar. Die Täter knebelten Robert, indem sie ihm Socken in den Mund stopften, und schlugen ihn mit einem Meißel bewusstlos. Dann erstickten sie den Jungen gemeinsam.
Mit der Leiche im Auto fuhren Nathan und Richard in eine andere Stadt, wo sie den toten Jungen entkleideten. Seine Kleidung ließen sie unterwegs am Straßenrand zurück. Während die nackte Leiche noch im Wagen lag, legten sie eine kurze Pause an einem Hotdog-Stand ein. Der Mord hatte ihnen offensichtlich keineswegs den Appetit verdorben. Anschließend warfen sie Roberts Leiche in einem abgelegenen Gebiet in einen Graben. Um die Identifizierung zu erschweren, übergossen sie das Gesicht mit Säure.
Zurück in Chicago rief Nathan sofort Roberts Mutter an. Er sagte, sein Name sei George Johnson, und teilte der zutiefst besorgten Frau mit: »Ihr Sohn wurde entführt. Es geht ihm gut. Morgen früh wird es weitere Neuigkeiten geben.« Danach schickten die Studenten einen Erpresserbrief an Roberts Familie, den sie bereits vor der Tat auf Nathans Schreibmaschine getippt hatten:
»Sehr geehrter Herr:
Wie Sie zweifellos inzwischen wissen, ist Ihr Sohn entführt worden. Gestatten Sie uns zu versichern, dass er gegenwärtig wohlauf und in Sicherheit ist. Sie brauchen keine körperliche Schädigung seiner zu fürchten, vorausgesetzt, Sie erfüllen sorgfältig die folgenden Anweisungen, ebenso wie weitere Anweisungen, die Sie in künftigen Mitteilungen erhalten werden. Sollten Sie jedoch irgendeine unserer Anweisungen missachten, sei es auch nur geringfügig, wird sein Tod die Strafe dafür sein.
1. Aus offensichtlichen Gründen machen Sie keinerlei Versuch, entweder mit den Polizeibehörden oder mit Privatermittlern zu kommunizieren. Sollten Sie bereits mit der Polizei in Kontakt getreten sein, so erlauben Sie dieser, weiter zu ermitteln, doch erwähnen Sie nicht diesen Brief.
2. Beschaffen Sie heute vor 12 Uhr mittags 10000 Dollar. Dieses Geld muss vollständig aus alten Scheinen der folgenden Werte bestehen: 2000 Dollar in 20-Dollar-Scheinen, 8000 Dollar in 50-Dollar-Scheinen. Das Geld muss alt sein. Jeder Versuch, neue oder gekennzeichnete Scheine mit einzubeziehen, wird die gesamte Unternehmung zunichtemachen.
3. Das Geld sollte in eine große Zigarrenbox gelegt werden oder, sollte dies nicht möglich sein, in einen schweren Pappkarton, sicher verschlossen und eingehüllt in weißes Papier. Das Einpackpapier sollte an allen Öffnungen mit Siegelwachs versiegelt sein.
4. Tragen Sie das Geld bei sich, vorbereitet wie oben angewiesen, und bleiben Sie nach ein Uhr mittags zu Hause. Sorgen Sie dafür, dass die Telefonleitung nicht besetzt sein wird.
Sie werden eine weitere Mitteilung erhalten, die Sie zu Ihrem endgültigen Ziel bringen wird.
Als abschließendes Wort der Warnung: Dies ist ein in höchstem Maße auf Gewinn ausgerichtetes Vorhaben, und wir sind darauf vorbereitet, unsere Drohung in die Tat umzusetzen, sollten wir vernünftige Gründe haben anzunehmen, dass Sie einen Verstoß gegen die obigen Anweisungen begangen haben.
Sollten Sie jedoch unsere Anweisungen in diesem Brief sorgsam ausführen, so können wir Ihnen versichern, dass Ihr Sohn innerhalb von sechs Stunden, nachdem wir das Geld erhalten haben, wohlbehalten zu Ihnen zurückgebracht werden wird.«
Unterschrieben wurde der Brief mit demselben Namen, den Nathan Roberts Mutter am Telefon genannt hatte: George Johnson.
Einer der entscheidenden Beweise im Fall »Leopold & Loeb«: der Entführerbrief.
Was Briefe über Täter verraten können
Wissen Sie, was das große Problem
an einer Verkleidung ist, Mr. Holmes?
Egal, wie viel Mühe Sie sich geben,
es ist immer ein Selbstporträt.
(Irene Adler in der BBC-Serie »Sherlock«)
Wenn man den Brief von Nathan und Richard liest, fällt sofort auf,
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