Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
herausfinden, wie er und seine Familie am besten damit umgehen könnten. Es hätte eine Geschichte wie viele andere sein können, aber irgendetwas kam mir daran komisch vor. In solchen Fällen neige ich dazu, wenn es möglich ist, Behauptungen zu prüfen, bevor ich sie glaube.
Dafür suche ich – wenn ich die Zeit habe – nach möglichst objektiven Informationen. Das ist im Internetzeitalter oft einfach. Dort schaute ich also, was über den Mann und die angeblich beteiligte Frau zu finden war. Solche Informationen können zwar auch unrichtig sein, aber manchmal liefern sie Hinweise für weitere Überlegungen. Die Namen der Beteiligten gab ich erst einmal bei »Facebook« ein. Tatsächlich waren beide dort mit echtem Namen registriert.
Dass es sich um die richtigen Personen handelte, erkannte ich an den Fotos auf ihren Seiten. Dabei stellte ich zunächst einmal fest, dass einiges, was der Mann über die besagte Frau erzählt hatte, nicht recht ins Bild passte. So hatte er beispielsweise mit keinem Wort erwähnt, dass sie anscheinend seit mehreren Jahren einen festen Partner hatte, wie man durch verschiedene Hinweise auf ihrer Seite eindeutig erkennen konnte.
Mir fiel aber noch etwas wesentlich Interessanteres auf: Auf der Facebookseite des Mannes fanden sich in den von ihm selbst verfassten Einträgen immer wieder ein paar orthografische Fehler. Das ist sicher nicht grundsätzlich ungewöhnlich; jeder Mensch macht mal Rechtschreibfehler. Doch wenn sie bei jemandem häufiger vorkommen als bei anderen Menschen, dann lässt sich darin öfter eine mehr oder weniger ausgeprägte »Logik« erkennen.
Dies fiel mir zufällig durch meinen Interviewpartner Christian auf, der Legastheniker ist. Ich kenne ihn schon länger als Privatmensch und bemerkte, dass hinter seinen Rechtschreibfehlern gewisse Regelmäßigkeiten stecken. Darüber hatte ich vorher nie nachgedacht. Es erschien mir interessant, weil ich jede Art von Regelmäßigkeiten – vor allem solche, die anwendbare Informationen liefern – spannend finde.
Inzwischen weiß ich, dass sich nicht nur bei Legasthenikern, sondern auch bei Menschen mit nur leichter Lese-Rechtschreib-Schwäche »individuelle Störungsmuster« erkennen lassen: Das bedeutet, man kann bei Einzelpersonen, die davon betroffen sind, mehr oder weniger deutlich ein System erkennen. Manche lassen Silben aus, manche verwechseln eher bestimmte Buchstaben. Und es haben sich falsche »Wortbilder« eingeprägt; falsche Schreibweisen ein und desselben Wortes tauchen also immer wieder auf.
Diese Dinge kamen mir in den Sinn, als ich die Rechtschreibfehler der selbstverfassten Beiträge auf der Facebookseite des Mannes betrachtete. Ich sah, dass er auf die immer gleiche, falsche Art an bestimmten Stellen Kommas setzte. Auch seine Groß- und Kleinschreibung folgte einer gewissen »Fehler-Logik«. Das kam mir bekannt vor. Ich schaute mir Kopien einiger Drohbriefe, die er erhalten haben wollte, genauer an. Tatsächlich waren in ihnen die gleichen Komma-Fehler wie auch die gleiche »Fehler-Logik« der Groß- und Kleinschreibung zu erkennen.
Das führte ich bei der nächsten Fall-Besprechung an: »Entweder ist die Frau intelligent und listig genug, um so geschickt die Rechtschreibschwäche des Mannes zu kopieren. Das glaube ich aber nicht, wenn ich mir ihr Internetprofil ansehe. Oder der Mann hat die Briefe selbst geschrieben und macht seinem Umfeld damit etwas vor. Das halte ich für sehr wahrscheinlich.« Konfrontiert mit dieser und anderen Überlegungen beschloss der Mann, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Hochmut kommt vor dem Fall
Nachdem Nathan und Richard den Brief an Roberts Eltern abgeschickt hatten, verbrannten sie ihre blutbefleckte Kleidung, reinigten die Polster des Leihwagens und verbrachten gemeinsam einen gemütlichen Abend mit Kartenspielen. Ganz offensichtlich waren die psychopathischen Eigenschaften »fehlendes Mitgefühl« und »fehlendes Schuldgefühl« bei den beiden sehr deutlich ausgeprägt. Doch der Plan der »Möchtegern-Übermenschen« ging nicht so auf, wie sie es sich erhofft hatten.
Roberts Vater erhielt den Erpresserbrief am nächsten Morgen. Sein Freund, der bekannte Anwalt Samuel Ettelson, hatte ihm seit dem Verschwinden seines Sohnes am Nachmittag zuvor zur Seite gestanden – die einzige Person, die Roberts Vater direkt benachrichtigt hatte. Ettelson schaute sich den Brief an und beschloss, erst einmal seinen Freund, einen Chefermittler bei der Polizei von Chicago, um
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