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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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grundlegend versorgt zu sein.
    Typisch psychopathisch geht Boris hier nach dem »Kosten-Nutzen-Prinzip« vor: Wenn er alt und arm ist, denkt er, sind die Kosten – also Nachteile – eines Gefängnisaufenthaltes bis zum Lebensende nicht mehr allzu groß für ihn. Der persönliche Nutzen aus der »Briefbomben-Aktion« wäre hingegen sehr groß. Es wäre ein ultimativer Machtbeweis, der sein psychopathisches Grundbedürfnis sehr gut befriedigen könnte. Somit scheint dieser Plan, aus Boris’ Gedankenwelt heraus betrachtet, eine durchaus »vernünftige« Idee für seine »Altersversorgung« zu sein.
Wenn Schuldgefühle keine Rolle spielen
    Boris trug mir seinen Plan sehr genau und ohne die geringsten Gefühle zu zeigen vor. Sowohl den genauen Bau der Briefbomben als auch ihre Wirkung auf mögliche Opfer beschrieb er, als erkläre er mir die Bedienungsanleitung eines Fernsehers. Wie auch andere meiner psychopathischen Interviewpartner befasst sich Boris seit seiner Jugend mit den Möglichkeiten, Menschen zu foltern und zu töten. Er interessiert sich bis ins kleinste Detail für Waffen, Gifte, Folterwerkzeuge und Ähnliches.
    Die Vorliebe zumindest einiger psychopathischer Menschen für diese Dinge hängt einerseits mit ihrem Bedürfnis nach möglichst großer Macht zusammen. Andererseits tragen sie alle – mehr oder weniger bewusst – die Wut über gravierende Erlebnisse in ihrer Kindheit mit sich herum, bei denen sie sich anderen Menschen ausgeliefert fühlten. Aus dieser Wut entwickeln sich Rachegefühle, die psychopathische Menschen auf unterschiedliche Weise gegenüber unterschiedlichen Personen ausleben.
    Boris’ extremer Plan für seine »Altersversorgung« beinhaltet auch, dass er durch Briefbomben die in ihm steckende Wut im wörtlichen Sinne »explodieren« lassen könnte. Er richtet die Wut gegen ein Ziel, mit dem er ohnehin negative Gefühle verbindet: Unternehmen, die sich aus seiner Sicht »ungerecht« an anderen Menschen bereichern. Vor sich selbst kann er seine »Briefbomben-Phantasie« damit rechtfertigen, dass er diese Firmen für ihr Fehlverhalten »bestrafen« würde.
    Als Boris mir dies erzählte – passenderweise erschien er mit Weihnachtseinkäufen für seine Familie in der Hand zum Interview –, wusste ich bereits einiges über ihn. Dazu gehörte auch, dass er nur selten Schuldgefühle empfindet. Daher spielen sie keine große Rolle bei seinen Entscheidungen. Dennoch war es ihm offenbar wichtig, vor sich selbst einen »gerechten Grund« für seine Gewaltphantasie vertreten zu können.
    Um diesen Grund in Frage zu stellen, machte ich Boris auf Folgendes aufmerksam: Durch die Briefbomben würden doch mit größter Wahrscheinlichkeit nicht die Führungspersonen, sondern irgendwelche Mitarbeiter wie Sekretärinnen zu Schaden kommen. Also Menschen, die nicht durch die Firmengeschäfte reich werden, sondern einfach nur ihren Lebensunterhalt dort bestreiten.
    Boris antwortete hierauf mit einer – wie wir Psychologen es nennen – »Rationalisierung«: Er versuchte auch diesen Aspekt seines eigentlich von Macht- und Rachegefühlen getriebenen »Planes« irgendwie »vernünftig« zu begründen. Daher entgegnete er gelassen und ohne zu zögern, dass ihm das klar sei. Doch wenn beispielsweise eine Sekretärin durch seine Briefbombe getötet würde, so sei sie zwar nicht sein »Hauptziel«, doch sie habe sich schließlich entschieden, dort zu arbeiten. Damit unterstütze sie diese Firma und sei daher nicht »völlig unschuldig«.
    Um seine »Rationalisierung« noch etwas weiter zu treiben, führte ich Boris folgendes Szenario vor Augen: Angenommen, er würde seine Aktion einmal durchführen und dafür ins Gefängnis kommen. Dort würde er aus der Presse erfahren, dass die von ihm getötete Sekretärin nach langer Arbeitslosigkeit die Stelle bei der Firma angenommen hatte, um als alleinerziehende Mutter ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ich fragte ihn, ob er in diesem Fall seine Entscheidung vielleicht bereuen oder sich schuldig fühlen würde.
    Boris entgegnete, dass er es zwar schade fände, wenn ausgerechnet eine solche Frau bei seiner »Aktion« zu Tode kommen würde. Doch letztendlich wären alle Konsequenzen für ihn dieselben. Auch dass er der Firma aus seiner Sicht zu Recht schaden würde, bliebe gleich. Somit habe die Frau in einem solchen Fall leider Pech gehabt, meinte er. Das sei vergleichbar mit einem »Kollateralschaden« im Krieg, bei dem Zivilisten getötet werden. Das

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