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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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Regeln zu ihrem Vorteil brechen, wenn sie sich zutrauen würden, die unangenehmen Folgen vermeiden zu können. Die meisten Menschen trauen sich aber gar nicht erst, so weit zu denken.«
    Diese Aussage zeigt die grundsätzliche Haltung ausgeprägt psychopathischer Menschen. Bedürfnisse anderer Menschen interessieren sie nur so weit, wie sie diese verstehen müssen, um ihre eigenen Ziele erreichen zu können. Weil diese Art zu denken und zu fühlen für normale Menschen schwer begreifbar ist, folgt nun eine kleine Einführung in »psychopathisches Denken und Handeln«. Anschließend werden die Bausteine, die Hare herausgearbeitet hat, um Psychopathen zu beschreiben, etwas einfacher zu verstehen sein.
Richtig und Falsch aus psychopathischem Blickwinkel
    Was denken und empfinden Sie, wenn Sie folgenden Satz lesen?
    »Wenn meine Freundin von anderen erfährt, dass ich sie betrüge, und deshalb mit mir Schluss macht, ist mir das ziemlich egal. Denn ich erwarte von ihr, dass sie mir vertraut und mir die Lügen glaubt, mit denen ich sie schütze.«
    Einige Menschen, denen ich diese Frage stellte, waren empört darüber, dass jemand ernsthaft eine solche Einstellung haben und sie auch noch aussprechen kann. Die Aussage stammt von Christian, einem meiner Interviewpartner für dieses Buch. Er hat deutlich stärker ausgeprägte psychopathische Eigenschaften als die meisten Menschen. Der Test mithilfe der Psychopathie-Checkliste ergab, dass bei ihm eine »mittelmäßige psychopathische Störung« vorliegt. Obwohl Christian schon früh auffiel, dass sich seine Gefühle, Einstellungen und Verhaltensweisen von denen anderer Menschen unterscheiden, hatte er, bevor ich ihn psychologisch untersuchte, keinen Begriff für diese Andersartigkeit.
    Einem nicht-psychopathischen Menschen die Welt durch die Brille des Psychopathen zu zeigen, ist nicht einfach. Die psychopathische Weltsicht steht im krassen Gegensatz zu vielem, was normale Menschen unwillkürlich fühlen und denken. Das ist auch einer der Gründe dafür, warum Psychopathen im Alltag als solche meist nicht erkannt werden: Wenn sie etwas Unangemessenes sagen oder tun, dann finden ihre normalen Mitmenschen oft eine Erklärung dafür – nur nicht die tatsächlich zutreffende. Weil ein normaler Mensch sich die Kluft zwischen »normalem Schein« und »psychopathischem Sein« nicht vorstellen kann, ist es ihm nicht möglich, die psychopathischen Gedanken und Gefühle nachzuvollziehen geschweige denn vorherzusehen.
    Die meisten normal fühlenden Menschen empfinden Christians Aussage zum Thema Fremdgehen als empörend und moralisch falsch. Warum empfindet Christian nicht so? Um dies zu verstehen, muss man die einzelnen Bestandteile seiner Aussage genau unter die Lupe nehmen:
    Er betrügt seine Freundin. Dieses Verhalten wird in den meisten Kulturen als moralisch falsch angesehen – auch wenn Schätzungen zufolge mindestens die Hälfte aller Menschen in Deutschland irgendwann in ihrem Leben fremdgeht. Menschen, die fremdgehen, wissen aber, dass sie ihren Partner damit verletzen, wenn er es erfährt. Viele Fremdgänger empfinden daher mehr oder weniger starke Schuldgefühle. Spätestens wenn der Partner sie traurig und wütend damit konfrontiert, dass er von dem Seitensprung oder der Affäre erfahren hat, fühlt sich die ertappte Person oft schlecht.
    Christian aber tut nicht nur etwas, das gesellschaftlich als »falsch« angesehen wird, er empfindet auch nicht die geringsten Schuldgefühle dabei. Dies für sich genommen bewerten viele Menschen zwar schon als nicht besonders sympathisch, doch auch Fremdgänger ohne ausgeprägt psychopathische Eigenschaften fühlen sich nicht immer schuldig. Oft entlasten nicht-psychopathische Fremdgänger ihr Gewissen, indem sie ihrem Partner eine Mitschuld für ihr Fremdgehen geben. Sie fühlen sich beispielsweise in ihrer Beziehung vernachlässigt oder sexuell nicht befriedigt. Deshalb entschuldigen sie sich selbst damit, dass sie sich nicht so verhalten würden, wenn ihr Partner sich mehr Mühe in der Beziehung geben würde. Im Gegensatz dazu schiebt Christian die Ursache für sein Fremdgehen nicht seiner Freundin in die Schuhe, es ist für ihn vielmehr völlig selbstverständlich, dass er sich so verhält. In einer Partnerschaft treu zu sein, kommt für ihn überhaupt nicht in Frage, und er kann nicht nachempfinden, warum andere Menschen Treue als etwas Angenehmes und Schönes erleben.
    Die weiteren Bestandteile von Christians Aussage wirken auf

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