Auf eiskalter Fährte. Abrechnung im Yukon (German Edition)
Tisch und einem Stuhl steht neben dem Bett noch eine alte Kommode. Und darauf ein Krug Wasser und eine Schüssel, in der er jetzt missmutig das Wasser schüttet. Das kühle Nass erweckt wenigstens etwas seine Lebensgeister. Ansonsten ist das Zimmer nur noch „geschmückt“ mit schmutzigen Gardinen, die kaum das Tageslicht hindurch lassen. Er zieht sie zurück und schaut auf die Straße. Es ist noch früh am Morgen und wenig Betrieb. Von hier aus kann man sehr gut den Hafen erkennen. Einige kleine Schiffe liegen dort an der Pier, von den großen Dampfschiffen ist nichts zu sehen.
Er überlegt krampfhaft, was ihm Betty gestern Abend noch alles erzählt hatte. Sollte der Dampfer heute Morgen, am Nachmittag oder sonst irgendwann hier auftauchen? Er weiß es nicht mehr. Er hat einen kleinen Blackout. Er weiß nur, dass er nach Skagway muss. Und dann von dort weiter nach Dawson City. Stöhnend und fluchend lässt er sich auf das knarrende Bett fallen und versucht, seine Gedanken zu ordnen.
Schon seit zwei Wochen ist er jetzt unterwegs zu den Goldfeldern am Klondike. Denn dort vermutet er Jack. Doch ist nicht unterwegs, um sich dem Wahnsinn des Goldrausches anzuschließen. Die vielen Idioten, die Haus und Hof im Stich ließen und sich aufmachten, im Norden nach dem Edelmetall zu buddeln, belustigen ihn nur. Ihn hat das Goldfieber nie angesteckt. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt lieber mit der Rinder- und Pferdezucht. Das ist sein Leben. Er ist Cowboy mit Leib und Seele.
Jetzt wartet er mit einem dicken Kopf auf den Dampfer, der ihn nach Skagway bringen soll. Er erhebt sich von seinem Bett und fängt an, sich anzuziehen. Wütend über sich selbst und seine durchzechte Nacht, steigt er seufzend in seine Stiefel, streift sich das Hemd über und zieht die mit Schaffell gefütterte Weste an. Diese Weste ist auch das Einzige, was er von einem Schaf an sich heranlässt. Er mag diese Viecher einfach nicht. Dann knotet er sich noch sein gelbes Halstuch um, über das sein Bruder immer so lachte. Ja, es ist auch wirklich knallgelb. Schon von Weitem erkennt man, wer da geritten kommt. Doch Clay Morgan liebt diese Farbe und hatte lange gesucht, bis er so ein Exemplar ergatterte. Anschließend stülpt er sich den schwarzen, mit Pferdehaar verzierten Hut auf den Kopf und legt zu guter Letzt noch den Revolvergurt um. Auf den legt er besonderen Wert. Er ist aus einem punzierten, schwarzen Rinderleder und von ihm selbst angefertigt. Der 45er-Colt Single Action, der im Holster steckt, ist sogar mit Hirschhorngriffen ausgelegt. Und in den Rahmen sind kleine Motive eingraviert. Für damalige Verhältnisse ein Prachtstück. Dann greift er sich noch seine Winchester und macht sich auf den Weg nach unten.
In der Stadt ist mittlerweile das Leben erwacht. Immer mehr Männer und sogar Frauen drängen hinaus zum Hafen. Abenteuerlich aussehende Typen, die alles Mögliche mit sich herumschleppen. Einer hat sogar ein großes hölzernes Schild auf seinem Packen festgeschnallt. „Yukon Saloon“, liest Clay darauf. Er muss grinsen und schüttelt den Kopf. Wo in aller Welt will der Kerl einen Saloon bauen, denkt er.bClay hat sich schon vorsorglich Informationen geholt und weiß in etwa, was auf die „Stampeders“ zukommt. Aber auch auf ihn. Stampeders nennt man die Abenteurer, die zu Abertausenden in den Yukon strömen. Nicht mehr Herr ihrer Sinne. Nur noch nach Reichtum und Glück lechzen, was immer dies auch sein mag.
Die Nachricht von sagenhaften Goldfunden verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Irgendwie hat fast jeder in dem rauen, dünn besiedelten Land davon erfahren, und die meisten haben sich bereits ein großes Stück vom Kuchen gesichert. Viele wissen: Sobald das Frühjahr den Weg über die Berge und auf dem Fluss passierbar macht, werden Tausende nach Dawson City kommen. Goldsucher, Glücksritter und Abenteurer aus dem Süden und aus allen Teilen der Welt. Der Goldboom hatte schon ein Jahr zuvor begonnen. Jetzt war er in vollem Gange.
Langsam schlendert Clay durch die Straßen hinüber zum Hafen, als er plötzlich seinen Namen rufen hört. Er dreht sich um. In der Menge der wie Ameisen herumziehenden Menschen entdeckt er Betty. Das Mädchen aus dem Saloon. Sie winkt und ist bemüht, sich durch die Mauer der Menschenmassen zu ihm durchzukämpfen. Geduldig wartet Clay, bis sie mit rotem Gesicht und fast außer Atem bei ihm ankommt. „Hallo Betty“, ruft er erstaunt. „Was machst du hier? Wo willst du denn hin?“
Betty
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