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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Naumann
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wird man für ihre Sicherheit nichts fürchten. Wenn Wirkung auf den Leser das Kriterium ist, dann ist eine gute Tragödie oder ein guter Roman nicht immer das moralischste Werk, weil es nicht die Träumereien des Gefühls, sondern die Kämpfe der Leidenschaft sind – ebenjener menschlichen Leidenschaften , die zu häufig die Vernunft in Wolken hüllen, und die Sterblichen in gefährliche Irrtümer, wenn nicht sogar in völlige Schuld führen –, die die lebhaftesten Empfindungen entstehen lassen und in der Erinnerung den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen; einen Eindruck, der mehr durch das Herz als durch unsere Einsicht bewirkt wird, denn in unseren Neigungen sind wir nicht so frei wie bei einer durch Vernunft begründeten Wahl.«
    In ihrer (grundsätzlich wohlwollenden) Rezension kritisierte Mary Wollstonecraft die Handlungsarmut des Romans, die aus der anscheinend unerschütterlichen Tugend der Heldin folgt, als künstlerische Schwäche und übersah, daß ihn gerade das psychologisch interessant macht und aus der Dutzendware der landläufigen Verführungsgeschichten heraushebt. Daß Julia Seymour widersteht come [un] scoglio [wie ein Felsen], heißt keineswegs, daß sie unangefochten und seelenruhig ist, im Gegenteil, sie verzehrt sich im Kampf gegen die unbotmäßigen Triebe. Wie erleichternd wäre es, wenn sie fallen dürfte, wenn sie sich fallenlassen könnte. Così fan futte! Statt dessen muß man zusehen, wie sie sich in ihrer Tugendbastille müde strampelt.
    Julia = Helen? Wahrscheinlich. Hätte sie sonst die Qualen unerfüllten Begehrens so glaubhaft schildern können? Sie war neunundzwanzig Jahre alt und unverheiratet, als sie im Sommer 1790 – um die Zeit, da ihr Roman erschien – auf Einladung des Ehepaars du Fossé nach Frankreich reiste. Der Weg ins Freie!

Diesen Kuß der ganzen Welt
    Neben der sexuellen Begegnung ist die Aktivität, bei der sich körperliches und seelisches Leben in höchstem Maße verbinden, die Teilnahme an einer Massendemonstration in Zeiten starker öffentlicher Begeisterung.
    Eric Hobsbawm
 
    Paris, Mai 1968. Von überall her strömen Revolutionstouristen – meist Studenten – in die französische Hauptstadt. Unter ihnen auch der Niederländer Cees Nooteboom. »Es ist, als hätte jeder ein wunderbares Geschenk erhalten. Euphorie schwebt über den Köpfen«, notiert er. »Eines Tages wird dies in irgendeiner alten Nachrichtensendung wie eine historische Menschenmenge aussehen, doch gebe der Himmel, daß das Lachen, die strahlende Laune, dann auch zu erkennen sind.« Nach einer Diskussion im Odéon schreibt er: »Pragmatiker mögen einwenden, mit Reden und mit Träumen könne man kein Land regieren, und das stimmt wohl auch, doch wo es keine Träume und keine neuen Impulse mehr gibt, wenn nicht wenigstens einmal jeder, ausnahmslos jeder, die Möglichkeit erhält, alles zu sagen, und statt dessen nur noch zugehört oder gehorcht werden kann, liegt dieSache im argen, um nicht zu sagen: ist erstickt. Nie wieder, selbst dann nicht, wenn das hier schon lange vorbei sein wird, wird dieses Theater für mich ein ›normales‹ Theater sein, denn dieses Bild ist unvergeßlich; was all die Kirchenältesten meinen, wenn sie sagen, es gebe keinen ›menschlichen‹ Kontakt mehr, nun, hier gibt es ihn, Tag und Nacht, zwischen jung und alt, Arbeitern und Studenten, Männern und Frauen, Ökonomen und Soziologen, manchmal unsinnig, manchmal artikuliert, fundiert. Wenn ich die Franzosen je beneidet habe, dann jetzt, und mit einer an Liebe grenzenden Eifersucht gehe ich ins Bett . . .«
    Paris, Juli 1790. Von überall her strömen Touristen in die französische Hauptstadt. Die Revolutionäre, die sich auf das menschliche Herz verstanden, haben eine in der Geschichte bis dahin beispiellose politische Festkultur geschaffen. Der nie mehr erreichte Höhepunkt ihrer vielen glänzenden Inszenierungen aber war gleich am Anfang die Fête de la Fédération , das Konföderationsfest am ersten Jahrestag des Bastillesturms.
    Am Vorabend dieses Tages kam Helen Maria Williams mit Mutter und Schwestern in der französischen Hauptstadt an, gerade noch rechtzeitig. »Wäre das Schiff von Brighton nach Dieppe nur ein paar Stunden später abgefahren, hätte es widrige Winde gegeben, kurz, wäre ich in Paris nicht in dem Augenblick angekommen, als ich ankam, hätte ich das vielleicht erhabenste Schauspiel versäumt, das das Theater dieser Welt je gesehen hat«, schrieb sie im ersten und

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