Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
berühmtesten der Briefe, in denen sie ihren Landsleuten aus dem neuen Frankreich berichtete.
»Sein Hauptzweck war die Dramatisierung des Treueeides, den Louis XVI in Paris auf die neue Verfassung schwören sollte, wie eine Hochzeit vor dem ›Altar des Vaterlandes‹, der in einem riesigen Amphitheater auf dem Marsfeld errichtet worden war, dort, wo heute der Eiffelturm steht.« Und überall im Land, in Städten und Dörfern, sollten sich die Bürger zur gleichen Stunde versammeln und zu einem Bündnis der nationalen Einheit verschwören – Eidschwüre waren eine revolutionäre Obsession.
In nur drei Wochen war das Gelände zum Festplatz geworden.Bürger aus allen Ständen hatten daran mitgearbeitet, schon das ein unglaubliches Schauspiel, dessen staunender Zeuge auch Georg Forster gewesen war.
Die Feierlichkeiten begannen in der Nacht vor dem Fest mit einem Te Deum in der Kathedrale Notre Dame, das eigens zu diesem Anlaß komponiert worden war. Einer schlichten, majestätischen Ouvertüre folgte eine expressive Musik, die die aus Schwermut, Unruhe und Angst gemischte Stimmung des Volkes ausdrücken sollte, die am 13. Juli 1789 geherrscht hatte. Darauf folgte ein Rezitativ, das etwa so lautete: »Bürger, eure Feinde rücken vor, mit feindlichen Absichten, mit drohenden Blicken! Sie kommen, um ihre Hände in eurem Blut zu baden! Schon haben sie die Mauern eurer Stadt eingeschlossen! Erhebt euch, erhebt euch aus der Trägheit, in die ihr verfallen seid, ergreift eure Waffen und eilt zur Schlacht! Gott wird mit euch kämpfen!« Ein Chor von Instrumenten und Stimmen schloß sich an, der in seiner Tiefe und Feierlichkeit »die Seele erzittern ließ«. Die Wirkung steigerte sich noch einmal, als sich der Klang einer lauten, schweren Glocke in dieses schauerliche Konzert mischte, »eine Nachahmung der Alarmglocke, die am Tag vor der Erstürmung der Bastille in jeder Kirche und in jedem Kloster von Paris geläutet worden war, was ein unvorstellbar entsetzliches Durcheinander von Tönen hervorgebracht hatte. In diesem Augenblick schien es, als habe es den Zuhörern den Atem verschlagen; jedes Herz schien schreckensstarr, bis endlich die Glocke verhallte, die Musik sich änderte und ein anderes Rezitativ die vollständige Niederlage des Feindes ankündigte; und das Ganze endete nach Pauken- und Trompetenfanfaren mit einer Dankeshymne an den Erhabenen.«
Und dann der nächste Tag! Man müsse dabeigewesen sein, um eine Vorstellung von der Erhabenheit, der Großartigkeit des Schauspiels haben zu können, »das zugleich die Phantasie, den Verstand und das Herz« ansprach, schrieb Helen. »Die Menschen, die Menschen waren die Sehenswürdigkeit!« Sie konnte von Triumphbögen berichten, von Weihrauch verströmenden Altären, vom Festzug, aber es war unmöglich, eine angemessene Vorstellung zu vermitteln von der Begeisterung, dem Jubel, der Ergriffenheit der Menge.
Am oberen Ende des Amphitheaters hatte man einen Pavillon für das Königspaar, sein Gefolge und die Abgeordneten der Nationalversammlung aufgestellt. Er war bedeckt von Tüchern in den Farben der Trikolore, Blau, Weiß, Rot, und geschmückt mit den Lilien der Bourbonen. In der Mitte stand der mit Inschriften versehene Altar des Vaterlandes, auf dem Priester in langen weißen Gewändern und blau-weiß-roten Schärpen Weihrauch entzündeten. Er war mit bedeutungsvollen Symbolen und Worten bedeckt, LA NATION , LA LOI , LE ROI [die Nation, das Gesetz, der König].
Am unteren Ende des Platzes waren drei mit allegorischen Figuren geschmückte Triumphbögen errichtet worden, durch die unter Kanonendonner der von Reiterei und Musikkapelle angeführte Festzug einmarschierte und seine Aufstellung nahm: Kavalleristen, Infanteristen, Grenadiere, Veteranen aus allen französischen Provinzen, Abgeordnete der Nationalversammlung, Distriktpräsidenten, Vertreter verschiedener staatlicher Institutionen in einem Meer von Fahnen und Standarten. Es gab auch ein Bataillon von Kindern, die eine Fahne mit der Aufschrift L'Espérance de la Patrie [die Hoffnung des Vaterlandes] mit sich führten.
Um halb vier Uhr nachmittags zelebrierte Talleyrand, der Erzbischof von Paris, eine Messe. »Danach stieg Monsieur de Lafayette, den der König zum Generalmajor der Föderation ernannt hatte, die Stufen des Altars hoch und legte den nationalen Eid ab. In einem einzigen Augenblick flogen alle Arme in die Höhe. Dann sprach der König die Eidesformel, die der Präsident der Nationalversammlung
Weitere Kostenlose Bücher