Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Leidenschaft geliebt.« In den Gasthöfen hieß man sie als aimables étrangers [liebenswürdige Fremde] willkommen.
Helen war wie erlöst. »In England haben wir eine merkwürdige Angst davor, für irgend etwas Begeisterung zu zeigen, selbst wenn es dafür die lobenswertesten Gründe gibt.« Ihre Landsleute empfänden nicht weniger stark, meinte sie, aber sie hielten es für unmännlich zu weinen und unterdrückten den Ausdruck von Gefühlen, an denen sie fast erstickten. »Wir haben auch eine tiefsitzende Angst davor, uns lächerlich zu machen. Wir fürchten einander so sehr, daß man nicht hofft zu gefallen, wenn man sich in Gesellschaft begibt, sondern nur bescheiden wünscht, der Mißbilligung zu entgehen«.
Sie genoß es, daß sich Frauen in Paris freier bewegen durften als zu Hause. Sogar zu den Kaffeehäusern an den Boulevards, wo man spielte, trank und diskutierte, hatten sie Zutritt. »Die englische Idee, Entspannung, Bequemlichkeit und Feiern in Gesellschaften zu suchen, aus denen Frauen ausgeschlossen sind, kommt den Franzosen nicht in den Sinn.« Als sie mit ihrer Schwester eine Sitzung der Nationalversammlung besuchen wollte, ließ der wachhabende Offizier sie nicht nur ohne die eigentlich obligatorische Eintrittskarte ein, sondern gab ihnen auch die besten Plätze, bevor die Türen für andere Besucher geöffnet wurden. »Wir waren mit ihm nicht persönlich bekannt, hatten überhaupt keinerlei Ansprüche auf seine Gefälligkeit, außer denen, daß wir Ausländer und Frauen waren, aber für die urbanen Franzosen sind das die stärksten Ansprüche.«
Sie liebt ihre Sprache, den Witz, die Umgangsformen, die Kunst der Unterhaltung, ihre »nie versiegende Heiterkeit« und versucht, sie ihren Lesern anschaulich zu machen, in Anekdoten, Bonmots, Wortspielen, geistreichen Repliken, Porträts.
»Ohne Zweifel sind die Franzosen in der Kunst zu gefallen konkurrenzlos. Niemand hat wie sie die Gabe, die feinsten, gewähltesten Manieren mit der aufmerksamen Liebenswürdigkeit zu verbinden, die aus dem Herzen zu fließen scheint«, schwärmt Helen nach einem Besuch bei der berühmten pädagogischen Schriftstellerin, die als Madame (Félicité) de Genlis in die Geschichte eingegangen ist, mit vollem Namen Stéphanie-Félicité du Crest de Saint-Aubin, Comtesse de Genlis, Marquise Brûlart de Sillery hieß, und sich nach der Abschaffung des Adels schlicht Madame Brûlart nannte.
Dabei hat sie die hochgezüchtete Kultur des Ancien régime geradezu idealtypisch verkörpert. Brillant, ehrgeizig und intrigant, war es ihr gelungen, die Liebe und Freundschaft des damaligen Duc de Chartres und späteren Duc d'Orléans zu gewinnen – sie und ihr Mann führten eine offene Ehe und ließen sich alle Freiheit – und sich eine wichtige und einflußreiche Position als Gouvernante der Kinder des Herzogs zu verschaffen. Sie erzog sie in St. Leu, einem idyllischen Landsitz bei Paris, zusammen mit der eigenen Tochter Pulchérie und einem außergewöhnlich schönen Mädchen, das sie unter geheimnisvollen Umständen aus England hatte holen lassen. Jeder glaubte zu wissen, daß die schöne Pamela ihrer Beziehung mit dem Herzog entstammte. »Ich habe nie regelmäßigere Züge und einen bezaubernderen Gesichtsausdruck gesehen«, schrieb Helen. Der älteste, sechzehnjährige Sohn von Monsieur d'Orléans bekannte sich zur neuen Verfassung und erklärte sich großzügig bereit, durch den Verzicht auf seine Titel zum Wohle der Allgemeinheit beizutragen und das Vermögen, das er erben würde, mit seinen Brüdern zu teilen: »Einen demokratischen Prinzen zu finden war schon etwas ziemlich Einzigartiges!«
Madame Brûlart selbst trug an ihrer Brust ein Medaillon aus einem polierten Bastillestein, das von einem Lorbeerzweig aus Smaragden umrankt und mit einer Kokarde aus verschiedenfarbigen Edelsteinen geschmückt war. In der Mitte war das Wort Liberté in Diamantenschrift zu lesen.
Revolution war Mode, auch in den höchsten Kreisen. Wer sich ihrem Diktat nicht fügen wollte, ging in die Emigration. »Alles, was langweilig oder unerfreulich ist, c'est une aristocratie! und alles, was anziehend und angenehm ist, ist à la nation «, berichtete Helen. Die engen, schmutzigen, dunklen Straßen von Paris zum Beispiel waren aristocrates , und als der Dauphin, der kleine Sohn des Königs, von seinem Lieblingskaninchen gebissen wurde, schimpfte er: tu es aristocrate [du bist aristokratisch].
Wie gut sie es verstand, à la nation alles
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