Auf Schreckenstein geht's lustig zu
„Schau mal!“ flüsterte er. An der Längsseite des Schuppens lag eine Leiter, deren Spitze noch etwa einen Meter über die Ecke hinausragte.
Jetzt musste auch Stephan lachen. „Wie beim Ostereier-Suchen! Dann soll es wohl sein, dass wir einsteigen“, kicherte er.
Und wie immer in Augenblicken, wenn man es nicht soll, mussten die beiden derartig lachen, dass sie sich auf den Boden setzten, die Hand vor den Mund hielten, bis sie sich beruhigt hatten. Dann nahmen sie die Leiter auf und suchten ein passendes Fenster. An einer Stelle, wo man einigermaßen etwas sehen konnte, wurde sie angelegt. Stephan kletterte hinauf. Vorsichtig, den Atem anhaltend, schob er sich von Sprosse zu Sprosse empor. Kurz vor dem Ziel hielt er nochmals inne, um zu lauschen. In diesem Moment wurde von drinnen ein lautes, tiefes Schnarchen vernehmbar. Das kann kein Mädchen sein, dachte er, während ihm vor Aufregung die Knie zitterten. Also machte er auf der Leiter kehrt und rutschte hinunter.
„Schon wieder da?“ wunderte sich Ottokar, indem er den Freund auffing. „Da oben schnarcht eine wie ein Walross!“
Schleunigst hoben sie die Leiter weg und bogen um die Ecke, um etwas zu verschnaufen. Plötzlich fiel ihnen ein langer, dunkler Schatten an der Mauer auf. Stephan deutete in die Richtung, und Ottokar trat vorsichtig näher.
„Es ist nur ein großer Holzstoß“, meldete Stephan, als er zurückkam. „Na, dann los. Jetzt bist du dran!“ Erneut wurde die schwere Leiter aufgerichtet und leise an einem offenen Fenster angelegt.
Diesmal stieg Ottokar hinauf. Stephan hielt die beiden Holme fest und wartete.
Lange war es ruhig, so lange, dass er fast schon unruhig wurde. Endlich kam ein leises „Ssssst“ von oben. Die Luft schien also rein zu sein, und er stieg nach. Als er oben ankam, stand Ottokar drinnen im Zimmer vor einem Tisch und leuchtete mit der Taschenlampe auf ein Papier, das er in der Hand hielt.
„Ist ‘ne Klasse“, sagte er, ohne aufzusehen, „hier!“
Damit drückte er Stephan ein Schulheft in die Hand. Er nahm es und blätterte darin. Es war fast voll, mit einer typischen Mädchenschrift geschrieben. Ottokar ging hinter ihm vorbei, setzte sich auf das Fensterbrett und ließ die Beine hinausbaumeln.
„Du hör mal“, sagte Stephan plötzlich, „fünf — fünf — vier — vier bis fünf, scheint ‘ne Kollegin zu sein, diese...“, er klappte das Heft zu und las den Namen auf dem Etikett: „...diese Beatrix Lebkowitz.“
„Und was jetzt?“ fragte Ottokar. „Irgend etwas müssen wir doch machen.“ Beide lehnten sich zum Fenster hinaus und dachten angestrengt nach.
Stephan spielte dabei mit der Taschenlampe, bis sie ihm aus der Hand fiel und nach einem dumpfen Aufprall auf dem Holzstoß liegen blieb. Zum Glück mit dem Schein zur Wand.
„Idiot“, zischte Ottokar. Dann lauschten sie beide atemlos. Als sich nichts rührte, kletterte Stephan hinunter, um das Licht schleunigst auszumachen. Dazu musste er jedoch auf den Holzstoß steigen, der ziemlich hoch war. Er bestand aus schlanken, ungefähr einen Meter langen Tannenstämmchen, die voller Harz waren. Endlich erreichte er die Lampe. Und da kam ihm eine einmalige Idee, die ihn wieder mit seinem Missgeschick versöhnte. Er klemmte sich eines der Stämmchen unter den Arm und ging zu Ottokar, der inzwischen auch heruntergestiegen war.
„Was willst du denn mit dem albernen Holz“, fragte er.
Stephan hörte gar nicht hin. „Lass mich mal was probieren“, sagte er nur und war schon wieder oben auf der Leiter. Er schwang sich vorsichtig in den Raum hinein und machte die Lampe an. Ganz langsam mit den Fußspitzen vorwärtstastend, um jedes Knarren der alten Dielen zu vermeiden, bewegte er sich zur Tür. Dort stellte er das Stämmchen auf den Boden und nahm Maß. Es ging! Das Holz war etwas höher als die Türklinke. Wenn man es darunter schob und am Boden ordentlich festrückte, konnte niemand die Tür vom Gang her öffnen.
So schnell und so lautlos wie nur möglich ging er zum Fenster zurück und kletterte hinunter.
„Hol dir schleunigst ein paar Prügel, wir blockieren die ganzen Klassentüren.“
„Ich werd verrückt“, sagte Ottokar und war wieder bester Laune. Alles ging blitzschnell. Die Leiter schleppten sie zu zweit von Fenster zu Fenster. Und während der eine hinaufkletterte, besorgte der andere bereits den nächsten Stock. In wenigen Minuten wären alle acht Klassenzimmer verbarrikadiert und konnten nur auf dem Weg wieder geöffnet
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