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Auf Schreckenstein geht's lustig zu

Auf Schreckenstein geht's lustig zu

Titel: Auf Schreckenstein geht's lustig zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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musste, vor ihr zu bestehen.
    „Wie ihr da hinüberkommen wollt, ist mir schleierhaft“, sagte sie nach einer Weile, „ich war schon längst wieder umgekehrt.“
    Man konnte tatsächlich kaum die Hand vor den Augen sehen, aber Stephan und Ottokar hatten genug seemännische Erfahrung, um zuversichtlich zu sein. Wenn sie zusammen ruderten — das hatten sie x-mal probiert — , fuhr der Kahn kerzengeradeaus. Der Grund hierfür war ihr ideales Kräfteverhältnis. Stephan, der Rechtshänder war, zog immer ein bisschen nach links, was Ottokar als Linkshänder wieder ausglich. Und da sie parallel zum Bootssteg abgelegt hatten und der Kappellsee keinerlei Strömungen aufwies, konnte eigentlich nichts schief gehen. Aber je länger die Fahrt dauerte, desto gespenstischer wurde sie.
    „Wenn wir wenigstens eine Taschenlampe hätten“, sagte Sonja, der es nun doch mulmig wurde.
    „Du willst wohl die Fische wecken?“ fragte Stephan. „Natürlich haben wir eine, aber wenn wir die jetzt anmachen, fahren wir bestimmt im Kreis.“
    „Und wenn wir auflaufen? Drüben hat’s Felsen!“ Doch Stephan war nicht aus der Ruhe zu bringen: „Einmal rüber sind bei uns 4763 Ruderschläge, und jetzt haben wir erst...“
    „2491... 2492“, fiel Ottokar laut ein. Auch er zählte mit. „Ihr Männer denkt eben ganz anders“, sagte Sonja und schien wieder beruhigt. Und schweigend, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, legten sie die zweite Hälfte der Strecke zurück. Doktor Waldmann hatte wirklich großes Vertrauen zu den beiden oder, was auch möglich war, keinerlei Erfahrung mit nächtlichen Ruderpartien.
    Bei Ruderschlag 4750 wurde es plötzlich kühler, und die Luft roch nach Wald. Da zogen sie die Ruder ein und machten Licht.
    Es war mäuschenstill. Wie die Schleppe eines Geisterhemdes glitt der Lichtkegel über das Wasser. Schemenhaft begann sich das Ufer abzuzeichnen.
    „Da!“ entfuhr es Sonja. „Die Felszacke kenne ich. Jetzt nach rechts, noch 50 Meter, dann zwischen den Trauerweiden durch. Das habt ihr phantastisch gemacht!“
    Stephan und Ottokar folgten ihrer Anweisung. Die Zweige der Weiden hingen bis aufs Wasser herunter, dass man sie wie einen Vorhang beiseite schieben musste. Doch dann öffnete sich plötzlich eine Bucht von beachtlichen Ausmaßen. Auch ein Bootshaus mit Steg gab es hier.
    „Mensch, das wär der richtige Hafen für uns“, staunte Ottokar und nahm damit Stephan die Worte aus dem Mund. Sie legten am Steg an, und Sonja sprang sofort aus dem Boot.
    „Wohnst du auch in der Teenager-Burg?“ fragte Ottokar, während er den Kahn festband.
    „Pst, nicht so laut“, zischte Sonja. „Du weckst ja alles auf! — Geht jetzt, hier kenne ich mich aus und...“
    „Nein“, unterbrach Stephan und hielt sie am Handgelenk fest, „du hast gesagt, wir seien Kavaliere, und ein Kavalier lässt keine Dame nachts allein durch den Wald latschen. Wir bringen dich an Ort und Stelle.“ Sonja wurde in die Mitte genommen, und so stiegen sie den steilen Pfad hinauf, der vom Steg in den Wald führte. „Mach wenigstens das Licht aus!“ bat Sonja, die auf einmal sehr unruhig wurde. Schweigend schritten die drei durch den Wald hinauf, bis der Boden eben wurde und sie auf eine Lichtung traten.
    „So“, flüsterte Sonja, „vielen Dank.“ Und weg war sie. Die beiden Jungen blieben stehen.
    „Hmm“, brummte Ottokar nach einer Weile, „wo wir nun schon einmal da sind...“
    „...wird es unseren Geschichtslehrer besonders freuen, wenn wir uns die Gemäuer etwas näher betrachten“, vollendete Stephan den Satz.
    „Dem ist so“, fügte Ottokar geschwollen hinzu. Schloss Rosenfels, das Mädchen-Pensionat, schien kleiner zu sein als Burg Schreckenstein. Es war ein quadratischer Bau, zweigeschossig und mit einem schlanken runden Turm an jeder Ecke.
    Renaissance-Stil, dachte Stephan im Anschleichen, eine Feststellung, die seinen Geschichtslehrer wirklich erfreut hätte. Aber der schlief ja gerade. Auch hier schlief alles, und wenn man stehen blieb, so war einem, als hörte man viele gleichmäßige Atemzüge durch die offenen Fenster. Neben dem Hauptgebäude wurde jetzt noch ein zweites, eine Art Schuppen sichtbar. Stephan stupste Ottokar mit dem Ellenbogen an, und sie gingen hin. Plötzlich tat es einen dumpfen Stoß, und Stephan rieb sich das Schienbein. Als Ottokar sich bückte und bei vorgehaltener Hand einen schmalen Lichtstrahl aus seiner Taschenlampe zwischen den Fingern durchließ, fing er unvermittelt zu lachen an.

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