Auf Umwegen ins Herz
Zuerst fiel es niemandem auf, denn ich ging nach wie vor ins Büro. Dort spulte ich mein Programm ab, vergrub mich in Arbeit, um mich abzulenken.“
Ich kaute auf meiner Unterlippe. Dass es Julian ähnlich ergangen war wie mir, damit hatte ich nun gar nicht gerechnet.
„Lena war ja mit ihrer Schulklasse unterwegs, und so konnten wir erst letzten Mittwoch miteinander telefonieren. Sie hat bemerkt, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, aber ich wollte nicht mit ihr darüber sprechen. Daraufhin kam sie zwei Tage später zu mir und drohte mir, erst dann wieder zu gehen, wenn ich ihr sagen würde, was passiert war.“
Ich musste schmunzeln. Ich sah Lena förmlich vor mir.
„… Also erzählte ich ihr meinen Teil der Geschichte.“
„Und dann?“
„Nun, am Samstag trafen sich Lena, Marco und Isa zum Trainieren und hier unterhielten sie sich zum ersten Mal gemeinsam über uns beide. So löste sich für sie das Rätsel.“ Langsam streichelte Julian meine Hände. Die Verzweiflung, die er empfunden haben muss, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Ich Idiot, ich hatte dich schon wieder verletzt und … ich war mir sicher, diesmal gibst du mir keine weitere Chance.“ Ich drückte seine Hand ganz fest.
Seine Stimme klang wie ein leises Knurren.
„Oh Gott, Jana, es tut mir so leid … Wenn ich gewusst hätte …“ Julian ließ meine Hände los und ballte seine zu Fäusten, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. An seinen Unterarmen kamen die Adern hervor, und erneut konnte ich Tränen in seinen Augen erkennen. Der Schmerz, den er wegen dieses blöden Missverständnisses empfand, war … herzzerreißend. Der Wunsch, ihn zu trösten, überwiegte, und so rutschte ich nah an ihn und drückte ihn fest. Auch mir standen die Tränen in den Augen. Langsam wiegten wir uns hin und her.
„Sssscht!“ Ich strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Der Vorschlag mit der Digicam stammte übrigens von mir.“ Julian grinste mich verlegen an. „Ich hab mich selbst erschrocken, als ich mich nach Lenas Besuch wieder bewusst im Spiegel sah. Oh, und wenn ich mir dich so ansehe, war es höchste Eisenbahn mit dem Wachrütteln.“ Julian streichelte langsam über meine Wangen und weiter hinab über meine Oberarme. „Bei dir besteht inzwischen Gefahr für blaue Flecken.“
Ich boxte ihm auf die Schulter und schüttelte mit gespieltem Schmerz meine Hand. „Da redet der Richtige. Von Essen hast du die letzten zwei Wochen aber auch nicht viel gehalten.“
In seinen Augen stand immer noch der Kummer, den er in den letzten Tagen empfunden haben musste, als er langsam den Kopf schüttelte. Neele legte ihren Kopf neben uns auf die Couch. Abwartend schielte sie zwischen uns hin und her. Dankbar über die Ablenkung begannen wir, ihr Fell zu kraulen.
„Jana … Für mein Verhalten gibt es keine Entschuldigung. Ich hätte dem Scheißkerl nicht einfach so glauben dürfen. Ich hätte zu dir gehen sollen, um mir deine Version anzuhören.“ Geräuschvoll atmete Julian aus. „Stattdessen sah ich rot, fuhr nach Hause … und zerstörte die beiden Kill Bill-DVDs.“ Entschuldigend zuckte er mit den Achseln.
„Deine Anrufe … die SMS … ich wusste nicht, was das noch sollte, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle zu dir zu fahren und dir meine Meinung zu geigen. Gott sei Dank hab ich es nicht getan …“
Julians Stimme klang gepresst, mir tat mein Herz weh bei dem Gedanken daran, wie sehr auch er gelitten haben musste. Ich schloss die Augen.
„Ich hab übrigens das Foto gesehen“, gestand er kleinlaut und durchbrach die Stille. Geschockt sah ich ihn an. Ich würde Isa morgen den Hals umdrehen! Wie konnte sie nur?
„Jana, ich … ich will dich nie wieder in so einem Zustand sehen. Es hat mir fast das Herz zerrissen. Du warst kaum wiederzuerkennen. Ich schwöre dir, Jana, wenn du mir nur eine kleine Chance lässt, alles wiedergutzumachen, dann sorge ich dafür, dass du nie mehr so leiden musst wie die letzten beiden Wochen.“ Bei diesen Worten nahm er meine Hände in seine und hielt sie fest, um sein Versprechen zu bekräftigen.
„Julian, … klar, das Ganze war ein riesiges Missverständnis, und in gewisser Weise verstehe ich deine Reaktion. Aber … meine Gefühle lassen sich nicht einfach aus- und wieder einschalten. Vertrauen muss wachsen. Du wirst Geduld haben müssen. Du hast es mir immerhin nicht unbedingt leicht gemacht, mich auf deine Worte zu verlassen.“
Ich merkte, wie etwas von
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