Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
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Pia Petry im Reich der Finsternis
Meine Stilettos sind zu hoch. Mein Push-up-BH ist zu eng. Und mein Alkoholpegel ist viel zu niedrig. Dabei ist dieser Sadomaso-Club eigentlich nur im Vollrausch zu ertragen. Bis zum heutigen Abend kannte ich solche Etablissements aus Fernsehberichten und Zeitungsartikeln. Jetzt kenne ich einen aus persönlicher Anschauung. Ein Erlebnis, auf das ich gerne verzichtet hätte. Mit einem schwarzen BH, einer durchsichtigen Bluse und einem Minirock bekleidet, stakse ich über glänzend weiße Bodenfliesen, immer in der Furcht, einer der Gäste könnte mir mit einem dümmlichen Grinsen ein Paar Handschellen oder eine Gerte unter die Nase halten. So zumindest stelle ich mir die hier übliche Anmache vor.
Doch meine Angst ist unbegründet. Die harten Jungs am Tresen halten sich am Bier oder an ihren mitgebrachten Damen fest und riskieren, wenn überhaupt, höchstens einen kurzen Blick in meine Richtung. Bis auf eine Ausnahme. Ganz rechts sitzt ein Kerl, der mich anstarrt, als habe er mich soeben zur Beute des Abends erkoren. Er sieht aus wie Romeo, der gerade Julia entdeckt hat und keine Zeit mit Vorgeplänkel verschwenden will. Nur dass mein Romeo Mitte vierzig sein dürfte, ein weißes T-Shirt und eine Motorradhose trägt und nicht den Eindruck erweckt, allzu viel Zeit mit körperlicher Ertüchtigung zu vergeuden. Ob dieser Mangel an Muskelmasse ein Zeichen für seine dominante oder eher für seine devote Veranlagung ist, weiß ich nicht einzuschätzen. Dafür ist mir die SM-Szene zu fremd.
Nie würde ich mich freiwillig mit sadomasochistischen Liebesformen beschäftigen. Ich bin eine stinknormale Heterofrau, die für ihren Orgasmus nichts weiter als einen jungen, gut aussehenden Mann und ein bequemes Bett braucht. Ich fand es noch nie luststeigernd, geschlagen, mit heißem Wachs verbrannt oder mit Kneifzangen an sensiblen Körperstellen traktiert zu werden. Dass ich mich trotzdem mit dem bizarren Liebesleben meiner Mitmenschen beschäftigen muss, verdanke ich meiner Freundin Renate ...
Ein Typ in schwarzer Latexhose, mit freiem Oberkörper und Brustwarzenpiercings steuert direkt auf mich zu. Das hat mir gerade noch gefehlt. Erschrocken drehe ich ab und flüchte die Treppe hinunter. Ein Verhalten, das nicht sonderlich professionell ist. Schon gar nicht für eine Privatdetektivin. Doch nachdem ich mir heute Nachmittag Fotos von Genitalfolter, Fisting und anderen unappetitlichen Praktiken im Internet angesehen habe, sind meiner Kontaktfreudigkeit Grenzen gesetzt. Was das Recherchieren nicht gerade erleichtert.
Mit zunehmend flauen Gefühlen laufe ich durch den Flur und komme an einer Folterkammer vorbei, in der gerade niemand gequält wird. Neugierig bleibe ich stehen. Der Raum strahlt eine seltsame Atmosphäre aus. Eine Mischung aus Grusel und gediegenem Spießertum. Hier ist nicht nur der Boden, sondern sind auch die Wände gefliest. Und zwar mit hellbraun marmorierten Kacheln, die im Ruf stehen, besonders pflegeleicht zu sein. Na ja, denke ich, irgendwie muss man das Blut ja wieder von den Wänden kriegen. In der rechten Ecke steht ein Andreaskreuz, in der Mitte sehe ich so etwas Ähnliches wie eine Streckbank, an der linken Wand hängen Zangen, Handschellen, Hanfstricke, Lederbänder und Peitschen in allen erdenklichen Ausführungen und Größen. Aber es gibt auch einiges, dessen Bedeutung sich einem Laien nicht auf Anhieb erschließt. Was bitte schön macht man mit Wäscheklammern?
Gerade als ich mit dem Gedanken spiele, mir das Inventar dieses Gruselkabinetts vielleicht doch von einem Fachmann erklären zu lassen, bemerke ich eine halb offene Tür. Aus dem dahinter liegenden Zimmer dringt flackerndes Licht. Werden da gerade Folterinstrumente über glühenden Kohlen erhitzt? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich so genau wissen möchte. Doch meine Neugier ist stärker als meine Angst. Leise pirsche ich mich an und bleibe dann völlig fasziniert stehen.
Der Boden des fensterlosen Raums ist mit hunderten von brennenden Friedhofskerzen bedeckt. Die Wände sind komplett mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Bis auf eine Ausnahme ist das Zimmer unmöbliert. Die Ausnahme ist ein monströses Himmelbett mit weinrotem Baldachin, vier goldenen, mit finster blickenden Drachenköpfen verzierten Pfeilern und einem großen, an einigen Stellen schon erblindeten Spiegel, der sich über die gesamte Kopfseite erstreckt. Zwischen den Kerzen liegen weinrote Samtkissen, auf dem Bett
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