Auf Umwegen ins Herz
musste das erste Mal seit Tagen lachen. Zwar nur deshalb, weil eine versnobte Blondine mit ihren offensichtlich sündhaft teuren High Heels in einen Hundehaufen trat und beim Abstreifen der wortwörtlichen Scheiße sehr unelegant fast das Gleichgewicht verlor. Von ihrem vernichtenden Blick, den sie mir zuwarf, ganz zu schweigen. Aber ich lachte. Und es fühlte sich unglaublich befreiend an.
Als ich mich wieder beruhigt hatte, musste ich an Neele denken und somit an Julian. Ich vermisste sie. Alle beide. Wie gerne hätte ich mich eben gemeinsam mit ihm amüsiert …! Ich war mir sicher, auch er hätte darüber gelacht. Und anschließend hätte er sich wahrscheinlich unglaublich aufgeregt über den unverantwortlichen Hundehalter, der den Haufen nicht entsorgt hatte.
Bei dem Gedanken an Julian wurde mein Herz wieder schwerer, doch ich wollte mich nicht noch einmal in die Tiefe reißen lassen. Ich bezahlte und bummelte weiter durch die Straßen, vorbei an Schaufenstern, Kaffeehäusern und Restaurants. Doch so richtig konnte ich den Druck auf meinem Herzen nicht abschütteln, also beschloss ich, aktiv dagegen anzukämpfen. Ich musste nach Hause, um mich in meine Laufkleidung zu werfen und mich so richtig auszupowern.
Als ich etwas später am See parkte, läutete mein Telefon. Mein Herz rutschte in die Hose, denn die Umgebung zog mich gedanklich zurück zu dem Spaziergang, unserem Kuss und dem wunderschönen Abend in seiner Wohnung. Ich fummelte in meiner Handtasche herum – die immer dann unendlich groß erschien, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte – bis ich endlich mit meinen Fingern die Vibrationen ertastete und das Handy herauszog. Isas Name stand in weißen Lettern auf dem Display, und mit einem erleichterten Seufzer begrüßte ich meine Freundin.
„Hey, Jana. Na, wie gehts dir?“
„Gut. Ich wollte gerade eine Runde joggen.“
„Joggen? Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist? Was sagt denn dein Kreislauf dazu?“
„Den hab ich noch nicht gefragt, aber sollte es mir zu viel werden, kann ich ja immer noch das Tempo reduzieren. Im Notfall lass ich mich ins Gras fallen.“
„Das ist nicht witzig!“ Dass sie sich ernsthafte Sorgen um mich machte, berührte mich, doch ich wollte nicht bemuttert werden – nicht schon wieder. Ich war mir sicher, ich konnte die Entscheidung selbst treffen.
„Ich nehm ja ohnehin mein Telefon mit. Sollte ich wo liegen und nicht mehr auf kommen, dann ruf ich dich an.“
Isa zögerte einen Moment, doch sie merkte wohl, dass ich nicht nachgeben würde.
„In Ordnung. Aber du versprichst mir, gut auf dich aufzupassen! Und melde dich kurz bei mir, sobald du wieder gesund beim Auto bist.“
„Natürlich, Mama !“ Ich kicherte, und kurz darauf fiel sie mit ein.
„Okay, ich merk schon, ich übertreibe. Also dann wünsche ich dir viel Spaß beim Sport. Wir hören uns nachher.“
Ich steckte das Handy in die kleine Tasche an meinem Shirt und lief los. Sofort stieg der Puls an, und ich fühlte den Energieschub, der mich packte. Ein Lächeln kam über meine Lippen. Genau so, wie ich die Sonne zum Krafttanken nutzte, lud ich mich durch die Bewegung auf. Meine Muskeln brannten, und ich achtete heute besonders auf meinen Körper. Dass mein Tempo um einiges langsamer war als sonst, störte mich nicht. Im Gegenteil, ich nahm es gerne in Kauf, denn ich hatte wenig Lust auf die peinliche Situation eines erneuten Kreislaufkollaps in der Öffentlichkeit.
Nach gut fünfzehn Minuten hatte ich meinen Rhythmus gefunden. Meine Atmung war regelmäßig, und das Brennen in den Waden ließ nach. Ich genoss es, wie das Blut durch meinen Körper gepumpt wurde, mich förmlich von innen heraus reinigte und alles Negative in Form von Schweiß aus mir herauswusch.
Viele Badegäste hatten bereits ihre Sachen gepackt und den See verlassen. Doch einige lagen angezogen auf ihren Handtüchern und genossen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Ich beobachtete die Leute – Familien mit spielenden Kindern, knutschende Teenager, Senioren. Ich fühlte, dass mein Leben wieder weiterging. Und sollte sich irgendwann wieder ein Mann in mein Herz verirren, musste ich einfach daran denken, dass man nicht alle in einen Sack werfen konnte. Es sollte tatsächlich Exemplare geben, die unter Umständen ganz normal waren, mir keine Lügengeschichten auftischen und mir nicht in regelmäßigen Abständen das Herz aus der Brust reißen würden. Meine Mama hatte immerhin mit Martin auch einen Glücksgriff
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