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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
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sie die Finger zu
Hilfe nahm. „Vier Pfund und ein bißchen was“, meinte sie schließlich.
    „Aha. Hast du heute morgen eine Tüte
mit in die Schule gebracht?“
    „Eine Tüte, Sir?“
    „Du weißt schon, eine Plastiktüte oder
einen Einkaufsbeutel oder so etwas.“
    „Ja.“
    Julia hatte inzwischen wieder voll auf
Verteidigung geschaltet. Doch mit der Tüte stand sie auf sicherem Boden. Wegen
der Tüte brauchte sie sich keine Gedanken zu machen.
    „Geh und hole sie bitte.“
    „Ja, Sir.“
    Julia ging die Treppe wieder nach oben
und den Flur entlang zum Klassenzimmer, um die Tüte zu holen.
    „Und jetzt zu dir, Nathan. Wieviel Geld
hast du?“
    Schweigen.
    „Ich warte.“
    „Fünf Pfund.“ Das war so gut wie jeder
andere Betrag, und offensichtlich hatte der Direktor den bei Julia akzeptiert.
    „Du hattest also auch fünf Pfund? Und
woher hast du sie, Nathan?“
    Nathans Kopf war völlig leer. Wie sehr
er sich auch bemühte, er war nicht in der Lage, sich eine geeignete Geschichte
zu seiner Entlastung auszudenken.
    „Nathan, fünf Pfund fallen nicht
einfach vom Himmel. Du mußt doch wissen, woher du sie hast. Entweder du sagst
es mir jetzt, oder ich bitte deinen Vater am Montag zu mir in die Schule. Was
ist dir lieber?“
    Vor seinem Vater hatte Nathan sehr viel
mehr Angst als vor Mr. Barlowe. Mr. Barlowe konnte schimpfen, er konnte einen
nachsitzen lassen und sogar von der Schule verweisen. Aber er würde nie seinen
Gürtel nehmen und Nathan damit grün und blau schlagen. Und genau das würde sein
Vater bei einem solchen Anlaß tun.
    „Nun?“
    Er könnte das mit dem Postsparbuch noch
einmal probieren, aber damit war er schon beim ersten Versuch nicht sonderlich
gut angekommen. „Ich hab’s von meinem Onkel“, sagte Nathan verzweifelt.
    „Oh, du hast auch so einen netten
Onkel? Was bist du für ein Glückspilz. Ah, da ist Julia wieder. Dann wollen wir
mal sehen, was in ihrer Tasche ist.“ Ein Schal, ein paar Stifte, ein Päckchen
Fruchtbonbons und drei Tüten Chips.
    „Du hast also vorgesorgt, damit du
nicht verhungerst, Julia, wie? Leere deine Taschen aus, Nathan.“
    Nathan tat es. Der Inhalt seiner
Taschen war unverfänglich, trotzdem wurde ihm ganz flau.
    „Jetzt die Schuhe.“
    Nathan zog den linken Schuh aus und
stand unsicher auf dem rechten Bein, die Augen hinter den dicken Brillengläsern
flehten ohne Hoffnung.
    „Den anderen bitte auch.“ Mr. Barlowes
Stimme klang wie das Schnurren einer Katze.
    Es gab kein Entrinnen. Nathan zog den
Schuh aus. Zum Vorschein kamen zwei Fünfpfundscheine und ein paar Münzen.
    „Hm - darauf rumzulaufen muß ja
ziemlich unbequem sein“, meinte Mr. Barlowe. „Und jetzt sollten wir uns wohl
mal dein Pult anschauen, Julia. Komm mit.“
    In Julias Pult, ganz hinten in der Ecke
unter den Heften, lagen ein Zehnpfundschein, zwei Einpfundmünzen und etwas
Kleingeld.
    „Das ist eine ganze Menge Wechselgeld
von fünf Pfund“, bemerkte Mr. Barlowe. „Kommt wieder mit in mein Büro, ihr
beiden, ihr habt mir einiges zu erklären.“
    Mutlos tappten die beiden hinter dem
Direktor her.
    „Woher, hast du gesagt, ist dein Geld,
Julia?“
    Schweigen. Julia hatte die Lippen
trotzig zusammengepreßt. „Nathan?“
    Schweigen.
    „Gut, dann sage ich euch jetzt, wie wir
weiter verfahren. Ihr laßt euer Geld übers Wochenende hier. Ich passe darauf
auf - es wird nichts wegkommen. Und am Montag kommen eure Eltern in die Schule.
Sie werden mir dann bestätigen, daß ihr das Geld geschenkt bekommen habt, oder?
Oder, Nathan?“
    Nathan holte tief Luft. Es schien, als
wolle er etwas sagen, doch dann änderte er seine Meinung und zuckte nur mit den
Schultern.
    „Hast du mir noch etwas zu sagen,
Julia?“
    Julia schniefte.
    „Dann geht zurück in eure Klasse.“
    Sie gingen hinaus. Ihre Füße waren wie
Blei. Julia schaute finster auf die Treppenstufen, und Nathan schaute genauso
finster auf Julia. „Doofkopf“, zischte er.
    „Warum sagst du das jetzt?“
    „Weil du einer bist. Es ist nur deine
Schuld, daß wir geschnappt worden sind. Warum mußt du auch das ganze Zeug
kaufen?“
    „Du hast es doch auch gemacht.“
    „Schon... aber du zuerst.“
    „Und?“
    Nathan war unfair, doch in diesem
Augenblick war es Julia fast egal. Sie sah ihre Zukunft vor sich, und bis zum
Horizont sah sie nur Leere und Einsamkeit. Einen kurzen Augenblick lang hatte
sie gespürt, wie es ist, im Mittelpunkt zu stehen. Mit dem Geld hatte sie sich
Beliebtheit erkauft, und wenn man ihr das

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