Auf und davon
der
Polizei geben. Und er hat gesagt...“, sie schluchzte wieder, „...er hat gesagt,
daß die Polizei uns ausfragt wegen dem Geld, das wir schon ausgegeben haben.
Und ich hab Angst. Und ich hab auch Angst vor meiner Mutter.“
„Deine Mutter ist erst mal Nebensache —
wichtiger ist die Polizei.“
„Was machen die mit uns, Nathan?“
„Keine Ahnung. Auf jeden Fall werden
sie uns dazu bringen, daß wir alles sagen — auch über das Geld, das wir noch
versteckt haben.“
„Wie, Nathan? Wie werden sie uns dazu
bringen?“
„Sie haben da so ihre Methoden“, sagte
Nathan, eine Antwort, die unvorstellbare Folterarten unausgesprochen ließ.
„Ich hab Angst, ich hab solche Angst!“
„Du bist nicht die einzige.“
„Sie waren schon so wütend, als sie
noch gedacht haben, es sind nur zwanzig Pfund. Was machen sie bloß, wenn sie
von den vielen hundert Pfund erfahren?“
„Uns einsperren.“
„Uns einsperren? Ach so, in ein
Internat, meinst du?“
„Vielleicht auch ins Gefängnis“,
erwiderte Nathan düster.
„Kinder werden doch nicht ins Gefängnis
gesteckt, oder?“
„Dann eben ins Internat. Oder was
Schlimmeres.“
„Was gibt’s denn noch Schlimmeres als
ein Internat?“
„Keine Ahnung, aber es wird schon was
geben.“
„Ich weiß nicht, was schlimmer ist“, jammerte
Julia, „die Polizei oder meine Mutter.“
„Mein Vater ist auch noch da“, sagte
Nathan. „So wie bei Mr. Barlowe hab ich ihn noch nie gesehen.“
„Was machen wir jetzt? Nathan, was
machen wir jetzt bloß?“
Nathan holte tief Luft, dann sprach er
es aus. „Wir hauen ab.“
„Was?“
„Bist du taub oder was? Ich hab gesagt,
wir hauen ab.“
„Wohin?“
„Keine Ahnung. Irgendwohin. Wir können
das Geld mitnehmen. Dann können sie uns nicht zwingen, es zurückzugeben, und
was Schlimmes mit uns machen können sie auch nicht.“
„Du meinst richtig davonlaufen? Und
irgendwo anders leben, ganz allein?“
„Was denn sonst, Rattengesicht? Wie oft
soll ich es noch sagen?“
„Das können wir nicht, Nathan. Das
können wir nicht machen!“
Nathan schaute sie böse an. „Okay, dann
bleib doch hier. Du wirst schon sehen, was deine Mutter mit dir macht und die
Polizei und wie sie dich ins Internat stecken. Mir macht das nichts aus.“
„Gehst du allein, wenn ich nicht
mitkomme?“
Lange Pause. „Nein.“
Wieder eine lange Pause.
„Soll ich mitkommen?“ Julia konnte kaum
glauben, daß sie es war, die das gefragt hatte. Und nachdem sie es
ausgesprochen hatte, fühlte sie sich merkwürdig ruhig. Sie würde abhauen, sie
würde allen Problemen davonlaufen. Die Vorstellung machte ihr Angst, aber nicht
halb soviel Angst wie die Vorstellung dazubleiben.
„Wenn du willst, kannst du mitkommen“,
sagte Nathan.
Wieder herrschte Schweigen, während
beide angestrengt auf den Boden sahen und über die enorme Tragweite dessen, was
sie vorhatten, nachdachten.
„Gehen wir?“ fragte Nathan.
„Jetzt?“
„Warum nicht.“
„Dann gehen wir jetzt. Sollen wir das
Geld holen?“
„Ja — aber was ist, wenn uns jemand
dabei sieht?“
Es war ein sonniger Nachmittag, und der
Park war voller Mütter mit kleinen Kindern.
„Es spielt doch jetzt keine Rolle mehr,
ob uns jemand sieht oder nicht“, sagte Julia. „Es weiß doch keiner, daß es Geld
ist, und wenn sie unser Versteck kennen, spielt das auch keine Rolle, weil es
ja nicht mehr länger unser Versteck ist.“
„Dann komm. Holen wir es.“
Julia zögerte. Sie trug wieder nur ein
dünnes Baumwollkleid. Keinen Mantel, keine Jacke. „Ich weiß nicht, wo ich
meines hin tun soll“, sagte sie.
Nathan trug seinen Anorak. Ob Regen
oder Sonne, von seinem Anorak trennte er sich höchst selten. „Ich kann deines
ja mit meinem in die geheime Tasche stecken“, bot er ihr an.
„Nein“, widersprach Julia heftig. „Ich
will meines bei mir haben.“ Sie würde das Geld wieder in die Unterhose stecken
müssen. Das war zwar ein umständliches und etwas peinliches Manöver, aber sie
traute Nathan nicht. „Wir passen lieber gegenseitig auf uns auf. Wenn wir das
Geld ausgraben, meine ich.“
Der Boden war an der Stelle, wo Nathan
vor zehn Tagen das Loch gegraben hatte, noch locker. Feuchte Erde klebte an der
Plastiktüte. Nathan stopfte sie, dreckig wie sie war, durch das Loch in seiner
Anoraktasche ins Futter. Dann gingen sie zu Julias Baum. „Ein gutes Versteck“,
sagte Nathan anerkennend, als er den hohlen Stamm sah, den Julia entdeckt
hatte.
Julia hielt
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