Auf verlorenem Posten
Augenblick zu Honors Besatzung geworden. Ihr Leben hing davon ab, wie gut Honor ihren Job verrichtete, und diese Erkenntnis durchfuhr die junge Frau wie ein Eiszapfen, als sie das Zusammenfalten des schweren Papiers beendete und sich erneut McKeon zuwandte.
»Eins-O«, sagte sie förmlich, »ich übemehme das Kommando.«
»Captain«, erwiderte McKeon ebenso zeremoniell, »Sie haben das Kommando.«
»Vielen Dank.« Sie sah den Quartermeister vom Dienst an und las quer über die Brücke sein Namensschild. »Tragen Sie die Kommandoübernahme bitte ins Logbuch ein, Chief Braun«, sagte sie, dann wandte sie sich wieder dem Aufzeichner und der wartenden Besatzung zu. »Ich werde Ihre Zeit nicht mit formellen Ansprachen verschwenden, Ladys und Gentlemen. Wie es aussieht, haben wir zuviel zu tun und zu wenig Zeit dazu. Weitermachen.«
Sie berührte erneut die Leiste. Die Intercombildschirme erloschen. Honor ließ sich in den bequemen, gepolsterten Kommandosessel sinken – nun ihr Sessel. Mit einem Schwanzzucken, das geringfügige Gekränktheit anzeigen sollte, kletterte Nimitz auf ihre Schulter zurück. Sie gab McKeon einen Wink, zu ihr zu kommen.
Der hochgewachsene, breitschultrige I.O. durchquerte die Brücke, während ringsum die emsige Arbeit wieder aufgenommen wurde. Der Blick aus McKeons grauen Augen begegnete dem ihren mit, wie Honor glaubte, einer Andeutung von Unbehagen – oder Herausforderung.
Der Gedanke erstaunte sie. Trotzdem reichte McKeon ihr die Hand zum traditionellen Willkommensgruß für den neuen Captain, und seine tiefe Sie klang ruhig.
»Willkommen an Bord, Ma’am«, sagte er. »Ich fürchte, hier herrscht im Moment ein gewaltiges Durcheinander, aber wir hinken dem Zeitplan kaum hinterher. Der Hafenkommandant hat mir zum Beginn der nächsten Wache zwei weitere Arbeitsmannschaften versprochen.«
»Gut.« Honor erwiderte den Händedruck, dann erhob sie sich und ging mit McKeon zur zerlegten Feuerleitstation hinüber. »Ich muß gestehen, daß ich ein wenig verwundert bin, Mr. McKeon. Admiral Courvosier hat mich gewarnt, daß wir einen größeren Umbau durchmachen, aber er hat nichts davon gesagt.« Sie deutete mit dem Kinn auf die offenen Paneele und freigelegten Kabelbäume.
»Ich fürchte, wir hatten keine andere Wahl, Ma’am. Wir hätten die Energietorpedos durch Wechsel der Software implementieren können, aber die Gravolanze ist im Grunde eine neue, zusätzliche Maschinenanlage. Es erfordert direkte Hardwareverbindungen ins taktische Hauptsystem, um sie an die Feuerleiteinrichtung anzuschließen.«
»Gravolanze?« Honor hob die Stimme nicht, doch McKeon registrierte unter der kühlen Oberfläche das Erstaunen der Kommandantin, und so war es an ihm, überrascht zu sein.
»Jawohl, Ma’am.« Er zögerte. »Hat man Ihnen das nicht gesagt?«
»Nein, hat man nicht.« Honor kniff die Lippen zu etwas zusammen, das man nur mit viel Höflichkeit als Lächeln hätte bezeichnen können. Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken. »Wieviel Breitseitenbewaffnung hat sie uns gekostet?«
»Alle vier Graserlafetten«, antwortete McKeon und sah, wie sich Honors Schultern leicht versteiften.
»Ich verstehe. Sie erwähnten Energietorpedos, richtig?«
»Jawohl, Ma’am. Das Dock ersetzte – ersetzt im Moment um genau zu sein – alle Breitseiten-Raketenwerfer bis auf zwo durch Energietorpedos.«
»Bis auf zwo?« Diese Frage kam schärfer. McKeon verbarg einen Anflug bitterer Belustigung. Kein Wunder, daß sie sich darüber aufregte, wenn man ihr vorher nichts gesagt hatte! McKeon jedenfalls hatte sich aufgeregt, als er von dem Plan erfuhr.
»Jawohl, Ma’am.«
»Ich verstehe«, sagte sie erneut und holte tief Luft. »Nun gut, Eins-O. Was bleibt uns an Bewaffnung übrig?«
»Wir haben immer noch die Dreißig-Zentimeter-Laserlafetten, zwo auf jeder Breitseite, und die Raketenwerfer. Nach der Umrüstung haben wir die Gravolanze und zusätzlich vierzehn Torpedogeneratoren. Die Jagdbewaffnung bleibt unverändert: zwo Raketenwerfer und ein Sechzig-Zentimeter-Mittschiffslinienlaser.«
Er beobachtete Harrington genau, und sie zuckte nicht sehr zusammen. Das, fand er, sprach für ihre Selbstbeherrschung. Energietorpedos waren schnellfeuernd, zerstörerisch und für Nahbereichs-Abwehrwaffen sehr schwierig abzufangen – aber vollkommen unwirksam gegen ein Ziel, das durch einen Seitenschild in Militärausführung geschützt wurde. Das war offenkundig der Grund, weshalb die Gravolanze installiert wurde.
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