Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
Scotch und funkelte seinen Bruder finster an. Die Zwillinge hatten sich in Ralstons Studierzimmer zurückgezogen, während draußen im Garten das Orchester seine Instrumente stimmte. In weniger als einer Stunde würde sich die Crème de la Crème der Londoner Gesellschaft – oder zumindest jene, die im Juli in der Stadt weilten – ebenfalls im Garten einfinden. Nick zupfte an seinem Abendanzug herum. „Sommerball“, brummte er. „Wer kommt denn auf so eine Schnapsidee?“
„Callie dachte, es wäre eine gute Möglichkeit, Juliana im Licht der Öffentlichkeit zu halten“, erwiderte Ralston gelassen. „Wie du dich vielleicht erinnerst, ist es um die Reputation unserer Schwester nicht gerade zum Besten bestellt.“
Nick starrte in sein Glas. „Was allein daran liegt, dass unsere Mutter eine verdammte …“
„In der Tat“, unterbrach ihn sein Bruder, „aber die Gesellschaft fragt nun mal nicht nach den genauen Gründen.“ Ralston beugte sich vor und goss Nick nach. „Callie freut sich, dass du hier bist, Nick. Versuch einfach, dich heute Abend zu amüsieren.“
Amüsieren !
Als ob das so leicht wäre.
Fünf Tage war es her, dass er Isabel verlassen hatte, und nicht einen Augenblick hatte er sich seitdem amüsiert. Und er wagte stark zu bezweifeln, dass sich daran etwas ändern würde, wenn er den ganzen Abend dumm im Garten herumstand und sich von törichten jungen Damen und deren raffgierigen Müttern belagern ließe.
Wahrscheinlich würde er den ganzen Abend sowieso nur an Isabel denken. Allein die Vorstellung, mit Frauen tanzen zu müssen, die nicht sie waren, machte ihn jetzt schon rasend.
„Da ist noch etwas, das du wissen solltest.“
Nick sah argwöhnisch auf. „Was denn?“
„Du giltst immer noch als phänomenaler Fang. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Damen heute Abend nur deinetwegen kommen.“
„Ich bin verheiratet“, knurrte er.
„Das weiß nur keiner, hast du dich doch bislang darüber ausgeschwiegen. Tatsächlich sollte man meinen, dass du vor deiner Rückkehr nach London zumindest deinen Bruder über die Veränderung deiner Umstände in Kenntnis gesetzt hättest.“
Nick versetzte seinen Bruder mit einer wenig schmeichelhaften Erwiderung in Erstaunen.
„Hört, hört.“ Ralston lehnte sich zurück. „Alle, die dich immer für den netteren von uns beiden gehalten haben, dürften sich heute Abend wohl auf eine Überraschung gefasst machen.“
Wutschnaubend sprang Nick auf. „Dann sollte ich vielleicht einfach verschwinden und euch allen meine Gesellschaft ersparen.“
„Setz dich, du Esel.“
Drohend baute Nick sich vor seinem Bruder auf. „Sag das noch mal.“
Ralston schwenkte seelenruhig seinen Scotch im Glas. „Ich werde mich nicht in meinem Studierzimmer mit dir prügeln – und schon gar nicht in Abendgarderobe. Callie würde mir den Kopf abreißen.“
Der Gleichmut seines Bruders nahm Nick den Wind aus den Segeln. Er ließ sich zurück in seinen Sessel fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Als er wieder aufsah, war Ralstons Blick voller Verständnis auf ihn gerichtet. „Dich hat es ganz schön erwischt, Bruderherz.“
Es war das erste Mal seit der kurzen Unterredung, in der Nick ihn von seiner Heirat in Kenntnis gesetzt hatte, dass Ralston wieder darauf zu sprechen kam. Nick wusste, dass sein Bruder nicht insistieren würde, wenn er selbst nicht weiter darauf einginge.
Aber jetzt wollte er darüber reden.
Wollte über sie reden … als ob Worte sie einander näher bringen könnten.
Als ob Worte sie dazu bringen könnten, ihn zu lieben.
Allein der Gedanke war schmerzlich. „Sie ist … wunderbar. Ganz unglaublich.“
Ralston erwiderte nichts, hörte einfach nur zu.
Und Nick begann zu reden, sprach mehr zu sich selbst als zu seinem Bruder. „Sie ist eine starke Frau, ganz anders als die Frauen unserer Bekanntschaft. Sie kämpft um das, was ihr wichtig ist, ist unerbittlich wie eine Königin. Nie zuvor bin ich jemandem wie ihr begegnet. Wenn etwas getan werden muss, tut sie es.“ Er sah auf. „Als ich sie das erste Mal geküsst habe, hatte sie Breeches an.“
Ralston schmunzelte versonnen. „Ja, doch … Frauen in Breeches haben was.“
„Aber sie hat auch eine weiche, verletzliche Seite, eine tiefe Unsicherheit, die mich wünschen lässt, ich könne sie immerzu, mit aller Macht beschützen.“ Nick rieb sich das Kinn und sann über Isabel nach. „Und sie ist schön. So schön. Mit diesen braunen Augen … Augen, in denen man
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