Aufbruch der Barbaren
uns, mehr auf die Geister als auf die Vernunft zu hören.«
»So glaubst du an keine Geister, keine magischen Kräfte…?«
»Doch, ich glaube, daß es sie gibt. Sie sind die Finsternis. Und ihr habe ich den Kampf angesagt!«
»Die Finsternis?« entfuhr es Juccru. »Nein, Hordenführer, es gibt gute Geister und gute Magie…!«
»Gute Geister? Gute Magie? Wo sind sie? Sie sollten sich erheben gegen die Finsternis wie wir…!«
»Sie haben andere Vorstellungen von Gut und Böse, Hordenführer.«
»Wie wohl auch die Finsternis?« fragte Nottr sarkastisch.
Der Schamane nickte ernst.
»Also gut«, sagte Nottr nach einem Augenblick, »jemanden zu töten, mag gut für den einen und schlecht für den anderen sein. Es gibt also verschiedene Ansichten über Gut und Böse…«
»Es gibt nicht Gut und nicht Böse, Hordenführer. Es gibt nur verschiedene Ansichten.«
Nottr nickte nach einem Moment. »Auch das verstehe ich, Schamane. Lassen wir also die Welt und die Finsternis beiseite. Nehmen wir nur uns, die Lorvaner, die Große Horde. Sieg oder Untergang, das ist für uns Gut und Böse. Sind deine Geister für unseren Sieg? Bist du es?«
»Ja, ich bin für den Sieg«, sagte der Schamane fest. »Deshalb bin ich gegen dich…«
»Deshalb bist du gegen mich?«
Juccru nickte hastig. »Du willst gegen die Finsternis kämpfen. Ich weiß es. Und Urgat ist angesteckt vom Fluch deiner Gedanken. Es wird der Untergang der Horde sein. Und der Untergang der Horde, das ist das Böse, wie du selbst gesagt hast, nicht wahr?«
Nottr starrte ihn verblüfft an.
Rasch und mit fast höhnisch klingender Stimme fuhr der Schamane fort: »Ihr wollt gegen die Finsternis ziehen… mit Schwertern und Äxten und dem Verstand von wilden Tieren!«
»Gibt es grimmigere Waffen?«
»Verstand und Wissen«, konterte Juccru.
»Wenn du sie besitzt, so bist du uns willkommen, aber wenn du mit abergläubischem Geschwätz die Pferde scheu machst…«
»Du nennst es abergläubisches Geschwätz, aber es ist nur dein Unverstand, der so spricht. Die Geister verraten uns mehr über die Welt, als der menschliche Geist allem je in Erfahrung bringen könnte…«
»Das mag sein. Aber die bedingungslose Gläubigkeit der Menschen hat es euch sehr leicht gemacht.«
»Ja, es stimmt. Es gibt solche unter uns, die ihr Wissen mißbrauchen, und manchmal auch solche, deren Wissen nur Täuschung ist. Aber die Geister lassen sich nicht mißbrauchen, Hordenführer. Sie geben das Wissen und nehmen es. Und immer sind sie es, die ihre Diener erwählen und entscheiden, welche Geheimnisse sie preisgeben und welche nicht. Wir Schamanen, oder Priester, oder Zauberer, wie immer du uns nennen magst, sind nur ihr Werkzeug. Ich bin nicht dein Feind, Hordenführer, aber ich darf nicht schweigen über die Zeichen, die ich sehe.«
Nottr nickte stumm. Er mißtraute dem Schamanen, aber die abergläubische Scheu des lorvanischen Barbaren war längst nicht so erloschen, wie er es Juccru glauben machen wollte, und die Worte des Schamanen ließen sich nicht mit einem Schulterzucken abschütteln.
»Wenn Licht und Finsternis unsere Welt zu ihrem Schlachtfeld erwählt haben, dann stehen höhere Feldherrn über uns, Nottr, und es liegt nicht in unserer Hand, was wir tun. Das Licht mag uns zu seinem Streiter wählen, oder die Finsternis zu ihren Helden. Und auf dir liegt bereits der Schatten der Finsternis. Dies…« Er deutete auf die Spuren. »Dies ist ein deutliches Zeichen. Und daß deine Gefährtin mit den Wölfen ging, ist ebenso…«
»Dann muß dieser Schatten der Finsternis auch über Skoppr gefallen sein, denn er war es, der sie den Wölfen auslieferte…!« entfuhr es Nottr heftig.
»Ja, vielleicht. In Zeiten wie diesen mögen selbst Schamanen in die Gewalt des Feindes geraten. Aber vielleicht sah auch er diesen Schatten über dir und opferte deine Gefährtin, um dich und die Horde zu schützen. So wie du nun das Leben deines Sohnes geben mußt, um endgültig aus den Klauen der…«
»Was muß ich?« rief Nottr mit bleichem Gesicht. Es war so laut, daß die Wachen aufmerksam wurden und die beiden neugierig musterten.
»Du mußt dein Kind opfern, denn es trägt bereits den Keim in sich…«
Nottr packte den Schamanen am Kragen seines Mantels und riß ihn wild an sich, daß sein Gesicht ganz nah an seinem war. »Du willst, daß ich Ahark, meinen Sohn, töte?«
Der Schamane schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Hordenführer…«, krächzte er mühsam in dem würgenden Griff.
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