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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Mondenschein, roter Wein, du allein; dass sie die knappen Andeutungen der dort erfolgten Zärtlichkeiten, noch während ich »küssen« sagte, mit selbstempfangenen oder ersehnten Küssen würzen konnten. Jede Umarmung, die ich aussprach, machte alles möglich, vom Hand-auf-die-Schulter-Legen, übers Lippenzerbeißen bis zum GV, wie wir das nannten; worunter, mutmaßte ich, einzig Monika sich Konkreteres vorstellen konnte als das, was ich aus dem Lexikon wusste.

    Ob ich denn auch ein Photo hätte, wollte sie wissen, und in Astrids Gesicht trat noch einmal die lauernde Hoffnung, jetzt möge ich passen. Ich zog mein Portemonnaie hervor, wobei rein zufällig ein Lavex-Tüchlein »Kölnisch Wasser, klassisch elegant« herausfiel, Anke bückte sich danach: »Ah, ›Scharnow-Reisen für die moderne Frau‹.«
    »Danke«, sagte ich, »gab es gratis. Haben die im Zug verteilt.«
    Das Photo zeigte eine Gestalt im Reitdress, die auf einem ziemlich plumpen Pferd, typisch finnisch, über einen Oxer setzte. Schlank war der Mensch und höchstwahrscheinlich männlich. Mehr war nicht zu erkennen vom Mann meiner Cousine Hanni, Rudi Kürten alias Erkki Huusarii.
    Meine Klassenkameradinnen warfen nur einen flüchtigen Blick auf das Bildchen. Der Bus stand schon an der Ampel.
    »Er schickt dir ja sicherlich noch welche aus dem Urlaub«, rief mir Anke tröstend hinterher.

    Ein paar Tage später konnte ich der Verlockung nicht länger widerstehen: Ich wagte mich zu Buche. Beschleunigte meine Schritte beim Anblick der harrenden Kisten, die nach einem einsamen Sommer in der frühen Herbstsonne glänzten. Streichelte die glattlackierten Kanten wie zum Abschied, Abschied von meinen Erinnerungen an einen, der hier bei den Kisten lebendiger wurde als je in unserer gemeinsamen Wirklichkeit. Fast war mir, jetzt, da ich sicher sein konnte, sicher vor ihm zu sein, ich vermisste ihn. Godehard, das hatte ich von Monika erfahren, war zu einem Forschungssemester nach Guatemala aufgebrochen. Liebkosend fuhr ich über die Buchrückenhügel, die sich eng zusammenpressten, als suchten sie Schutz vor der Zumutung des Kisten-Exils. Ehe ich Und fänden die Liebe nicht von Pearl S. Buck herausklauben konnte, ging die Tür auf.

    »Endlich«, frohlockte Buche statt einer Begrüßung und zupfte mich am Ärmel ins Ladeninnere, in den vertrauten Geruch von Bohnerwachs, Bücherstaub und Kaffee. Gleich ins Hinterzimmer nötigte er mich, rückte mir den Stuhl zurecht, setzte mir eine Tasse vor: »Wie immer?«
    Ich nickte. »Wie immer.«
    Er nickte. »Mit viel Milch, ohne Zucker!«
    Wir nickten. Schauten einander erleichtert an; wenigstens das hatte sich nicht geändert. Doch die Frage musste kommen. Ich trank den Kaffee in kleinen Schlucken, wartete. Die Frage kam nicht. Stattdessen langte Buche hinter sich ins Regal und schob mir ein Päckchen zu: »Von wem das ist, muss ich Ihnen nicht sagen.« Buches Stimme klang, als hätte ich einen nahen Verwandten verloren. »Er war oft hier und hat auf Sie gewartet. Das hat er mir für Sie dagelassen.«
    Das Päckchen war flach, flacher als ein Buch, und gab meinem Fingerdruck knisternd nach. Fragend schaute ich Buche an.
    »Keine Ahnung«, sagte der und kniff die Augen zusammen. Er schien noch etwas auf dem Herzen zu haben.
    In meinen Fingern knisterte Godehards Seidenpapier. Buche räusperte sich lange und umständlich.
    »Eigentlich hätte ich es Ihnen … Vielleicht wäre es besser gewesen, ich …« Buche brach ab, schlug sich vor die Stirn: »Nein, warten Sie, sehen Sie selbst! Ich hab das ja damals aufbewahrt. Einen Augenblick nur. Der Ordner ist im Keller.«
    Ehe ich der Versuchung, das Päckchen zu öffnen, nachgeben konnte, war Buche zurück. »Sehen Sie selbst«, legte er ein Faltblatt, schwarzumrandet, vor mich hin. Eine Traueranzeige. Ich schlug das Blatt auseinander. Und sah mich. Ein lachendes Mädchengesicht mit dichten schwarzen Haaren, dunklen Augen, sofern das körnige Papier die Schwarz-Weiß-Abtönungen genau genug wiedergab. Ich schrak zurück, ließ das Blatt auf den Tisch fallen, nahm es wieder an mich und tat, was Buche sagte: »Schauen Sie genau hin!«

    Ich war das nicht. Aber das Mädchen sah mir ähnlich wie ein Zwilling. Und hatte wunderschöne gerade Zähne.
    Buche trat hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern: Gleich als er mich zum ersten Mal gesehen habe, sei ihm die Ähnlichkeit mit Godehards verstorbener Braut aufgefallen. Leukämie - ging alles sehr schnell. Ganz unschuldig

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